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Berlin und Thüringen wollten besonders gefährdete Gruppen wie alleinreisende Mütter mit Kindern aus dem Flüchtlingslager Moria aufnehmen.

© Manolis Lagoutaris/AFP

Zwei Mal Nein zur Flüchtlingsaufnahme: Muss Seehofer jetzt mit Klagen rechnen?

Der Innenminister hat auch Thüringens Flüchtlingsaufnahmeprogramm abgelehnt. Eine weitere Absage, vor allem an das eigene Lager, wäre politisch heikel.

Er hat es wieder getan: Wie am Freitag bekannt wurde, hat nun auch Thüringen Post von Bundesinnenminister Horst Seehofer erhalten. Der CSU-Politiker teilte darin – eine Woche nach Bekanntwerden eines ähnlichen Schreibens an den Berliner Senat – der rot-rot-grünen Landesregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow mit, dass er auch Thüringens Flüchtlingsaufnahmeprogramm ablehnt.

Das bedeutet zunächst das Aus für die Pläne beider Länder. Berlin wollte zunächst 300 Menschen aus den Elendslagern auf den griechischen Ägäisinseln übernehmen, Thüringen bis zum Jahr 2022 insgesamt 500, vor allem unbegleitete Minderjährige, allein reisende Frauen, Schwangere, alleinstehende Müttern mit ihren Kindern und alte, schwerkranke oder traumatisierte Menschen.

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Beide Landesregierungen berufen sich auf das „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet“, kurz Aufenthaltsgesetz. Dort steht in Paragraf 23: „Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.“

Das Gesetz gibt den Ländern also ein Recht für eigene Aufnahmen. Im nächsten Satz heißt es: „Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.“ Eben jenes Einvernehmen, das Seehofer jetzt zum zweiten Mal verweigert hat, früher aber erteilte, zum Beispiel als Baden-Württemberg und Brandenburg Frauen der bedrohten jesidischen Minderheit aus Syrien nach Deutschland holten.

Selbst im eigenen Hause hieß es Anfang des Jahres noch, man werde sich den Wünschen einzelner Länder nicht entgegenstellen. Seehofers Staatssekretär und Parteifreund Stephan Mayer sagte seinerzeit auf einer Veranstaltung der Grünen im Bundestag, das habe sein Haus noch nie getan.

Seehofers Argumente jetzt: Er sieht durch die beiden Landesprogramme die im Gesetz genannte Bundeseinheitlichkeit gefährdet, außerdem stünden sie im Gegensatz zu den Dublinregeln, mit denen die EU die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für Schutzbedürftige verteilt. Daneben würden spezifisch deutsche Programme eine europäische Gesamtlösung gefährden.

Die beiden Länder könnten dagegen klagen - doch das ist umstritten

Möglich wäre eine Klage gegen Seehofers Nein. Die ist jedoch in beiden rot-rot-grünen Koalitionen in Berlin und Erfurt umstritten. Linke und Grüne wollen sie. Die SPD, in Berlin größte Koalitionspartei, in Thüringen Juniorpartnerin, hatte sich hingegen schon während der Beratungen über die Landesaufnahmeprogramme hinhaltend bis ablehnend zur Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge verhalten; in Thüringen gab es massiven Koalitionskrach.

Wie schon vor einer guten Woche in Berlin ist daher auch die Thüringer Aussage zur Möglichkeit einer Klage eher zwischen den Zeilen zu lesen: Justizminister Dirk Adams (Grüne) zeigte sich über Seehofers Verweigerung des Einvernehmens in einer ersten Stellungnahme „enttäuscht“. Sein Ministeriums werde die Antwort „und vor allem ihre Begründung“ prüfen. „Klar ist, dass unsere Bereitschaft, Menschen aus den Flüchtlingscamps in Griechenland aufzunehmen, weiterhin besteht.“

Innenminister Horst Seehofer (CSU) spricht sich gegen die Pläne zur Aufnahme von Flüchtlingen aus den griechischen Lagern aus.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) spricht sich gegen die Pläne zur Aufnahme von Flüchtlingen aus den griechischen Lagern aus.

© Herbert Neubauer/APA/dpa

Spannend wird nun, welche Haltung die Regierung im christdemokratisch geführten größten Flächenland Nordrhein-Westfalen einnimmt. Ministerpräsident Armin Laschet war in dieser Woche zu einem Besuch im Lager Moria auf Lesbos. Gruppen von Bewohnern empfingen ihn mit Sprechchören „Free Moria“ – sie hielten ihn offensichtlich für den deutschen Regierungschef. Das Camp ist mit 14000 Menschen weit überfüllt, die Versorgung nach Meinung von Beobachtern teils menschenunwürdig.

Laschet, der für die Nachfolge von Angela Merkel als CDU-Chefin kandidieren will, gilt auch als möglicher Kanzlerkandidat seiner Partei. Sollte seine Düsseldorfer Koalition mit der FDP ebenfalls ein Flüchtlingsaufnahmeprogramm beschließen, wäre es das erste einer nichtlinken Regierung. Linken-Parteichefin Katja Kipping hatte Laschet am Freitag aufgefordert, sich im Streit zwischen Seehofer und den Ländern auf deren Seite zu stellen.

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Eine weitere, dritte Absage, diesmal an eine Regierung des eigenen Lagers, wäre auch für Seehofer, der deswegen schon heftig kritisiert wird, politisch heikel. Laschets Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) schlug bereits vor, eine rasche Videokonferenz von Bund und Ländern abzuhalten, um eine Linie zu verabreden. Auf Nachfrage des Tagesspiegels zu eigenen Plänen gab sich die Landesregierung am Samstag zugeknöpft: „Wir beteiligen uns am Bundesprogramm mit 220 Kindern und Familien, die derzeit Tag für Tag kommen.“

Massive Kritik an Seehofer kommt von den Nichtregierungsorganisationen der Seenotrettung. Liza Pflaum von der Seebrücke erklärte: „Nach wie vor ist die Lage in Lagern wie Moria dramatisch.“ Berlin und Thüringen müssten gegen die erneute Verweigerung humanitärer Hilfe klagen und so „das Recht zur Aufnahme durchsetzen“.

Die Seebrücke hat vor zwei Jahren ein Städtebündnis für mehr Flüchtlingsaufnahmen ins Leben gerufen, dem inzwischen in Deutschland 58 Kommunen angehören. Deren Wünsche hatte der Bund bisher abgelehnt, weil die kommunale Ebene dazu kein Recht habe.

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