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Der Eurofighter ist europäisches Gemeinschaftsprojekt und wird trotz des Exportstopps im Jemen eingesetzt.

© Ina Fassbender/AFP

Zweiseitige Exportpolitik: Deutsche Waffen werden weiterhin an Konfliktparteien im Jemen geliefert

Deutsche Waffen werden nicht nur von Saudi-Arabien im Jemen eingesetzt. Deswegen fordern 56 NGOs, an keine der Konfliktparteien mehr Waffen zu liefern.

Ob im Jemen, im Kongo oder in Syrien: auf der ganzen Welt breiten sich immer mehr militärische Konflikte aus. Und damit rücken, neben den direkt beteiligten Konfliktparteien, auch die Länder in den Vordergrund, die diese mit Waffen versorgen.

Vor wenigen Wochen erst entschied sich die Bundesregierung wegen des seit vier Jahren andauernden Krieges im Jemen, den Exportstopp von Waffen und anderen Rüstungsgütern an Saudi-Arabien um ein weiteres halbes Jahr zu verlängern. Im Jemen-Konflikt sei alles daranzusetzen „eine diplomatische Lösung zu finden“, auch wenn das im Augenblick sehr schwierig aussehe, sagte Angela Merkel. Schwierig sieht es im Jemen aber nicht nur wegen der besonders hohen Zahl von Konfliktparteien aus, sondern auch, weil diese nach wie vor mit Waffen unter anderem aus Deutschland beliefert werden.

Saudi-Arabien führt als Anführer einer Koalition aus Ägypten, Bahrain, Kuwait, Jordanien, Sudan, Senegal und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) einen blutigen Krieg gegen schiitische Huthi-Rebellen. Die Lage ist verheerend, insbesondere für die Zivilbevölkerung. Die Vereinten Nationen sprechen von der größten humanitären Katastrophe unserer Zeit: 24 Millionen Menschen, also fast 86 Prozent der jemenitischen Bevölkerung, benötigen lebenswichtige Hilfe, unter ihnen 12,3 Millionen Kinder. Mehr als die Hälfte von ihnen ist akut von Hungersnot bedroht. Humanitäre Organisationen werden behindert, Zugang zum Land und zur notleidenden Bevölkerung zu erhalten.

Angesichts dieses katastrophalen Ausmaßes erscheint die Entscheidung der Bundesregierung, keine Waffen mehr an Saudi-Arabien zu liefern, sinnvoll und begrüßenswert – und ist doch nicht weitreichend genug, meinen zumindest zahlreiche humanitäre Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen. In einem offenen Brief an die Bundesregierung forderten nun 56 von ihnen einen umfassenden Rüstungsexportstopp nicht nur für Saudi-Arabien, sondern auch an alle weiteren Mitglieder der Militärkoalition.

Waffenlieferungen an die Konfliktparteien dauern bis heute an

„Wir sehen im Jemen-Krieg, dass nicht nur Saudi-Arabien Luftangriffe fliegt und Bodentruppen einsetzt. Insbesondere auch die VAE sind in dieser Hinsicht im Jemen aktiv“, sagt die niederländische Rechtsanwältin und Rüstungsexpertin Linde Bryk vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin, einer 2007 von internationalen Juristen gegründeten Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschenrechte auf der ganzen Welt mit juristischen Mitteln durchzusetzen.

Es sei „zweifelhaft“, dass das von der Bundesregierung erneuerte Moratorium auch Waffenlieferungen an die VAE und die anderen Mitglieder der Koalition umfasse, so Bryk. Obwohl bereits im Koalitionsvertrag von 2015 vereinbart wurde, keine Waffen mehr an im Jemenkrieg unmittelbar beteiligte Staaten zu exportieren, dauern diese bis heute an – und das trotz des offiziellen Exportstopps.

Allein für Saudi-Arabien und die VAE habe die Bundesregierung zwischen 2015 und 2018 Rüstungsexporte im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro genehmigt, heißt es in dem offenen Brief, den auch Amnesty International, Aktion gegen den Hunger und die NRC Flüchtlingshilfe unterschrieben haben. An weitere Mitglieder der Militärkoalition wären im gleichen Zeitraum Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von drei Milliarden Euro erteilt worden.

"Deutschland handelt rechtswidrig"

Und sogar im ersten Halbjahr 2019 habe die Bundesregierung noch Exporte in Höhe von rund einer Milliarde Euro an diese Ländergruppe genehmigt, einschließlich Saudi-Arabien. „Deutschland handelt rechtswidrig, es hält sich nicht an internationale Abkommen und nationale Gesetze“, so Linde Bryk. Man behalte sich vor, die Bundesregierung hierfür mit rechtlichen Mitteln zur Rechenschaft zu ziehen.

Gemäß der UN-Expertengruppe für regionale und internationale Angelegenheiten im Jemen habe die Militärkoalition Angriffe durchgeführt, die Kriegsverbrechen gleichkommen können. Gemeint sind damit zum Beispiel Luftangriffe auf Schulen und Krankenhäuser, immer mit zivilen Opfern. Deutschlands Verantwortung sei hier nicht nur durch direkte Waffenlieferungen, sondern auch durch die Produktion des Kampfjets Eurofighter tangiert, europäisches Gemeinschaftsprojekt und elementarer Bestandteil der saudischen Luftwaffe.

Für Linde Bryk ist die Verlängerung des Exportstopps an Saudi-Arabien ein wichtiger Schritt. Gleichzeitig betont sie, dass ein Frieden im Jemen in weiter Ferne bleibt, solange auch Deutschland weiterhin Waffen an Mitglieder der Militärkoalition liefert und solange weiterhin Bauteile für europäische Gemeinschaftsprojekte wie den Eurofighter nach Saudi-Arabien exportiert werden.

Deutschlands Rolle im Syrienkonflikt ebenfalls unklar

In diesen Tagen wird, wegen der türkischen Militäroffensive im Norden Syriens, auch heftig über Waffenlieferungen an die Türkei diskutiert. Schweden, die Niederlande, Finnland, Norwegen und Frankreich haben bereits ihre Waffenexporte eingeschränkt oder vollständig gestoppt.

Inwiefern auch Deutschland dies tun wird ist bislang unklar, immerhin ist die Türkei einer der Hauptabnehmer deutscher Rüstungsgüter. Eins jedoch bleibt bei allem Unklaren stets klar: solange deutsche und europäische Waffen an Länder wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder die Türkei geliefert werden, wird es auch weiterhin Millionen von Kindern und anderen unbeteiligten Zivilisten geben, die leiden und fliehen oder mit ihrem Leben bezahlen müssen.

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