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Abgeordnete bei der Abstimmung über das neue Hilfspaket für Griechenland.

© AFP

Zweites Hilfspaket für Griechenland: Abstimmung im Bundestag - die Skepsis votierte mit

Nur 304 Koalitionspolitiker stimmten noch zu: Bei der Abstimmung über neue Hilfen für Griechenland trieb das Parlament die Sorge um: Wohin führt das ganze noch?

Von Robert Birnbaum

Peter Altmaier ist frühmorgens vorsichtig. „Ich gehe davon aus, dass wir eine breite Mehrheit mit SPD und Grünen und auch eine große eigene Mehrheit haben“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im „Morgenmagazin“ der ARD voraus. Am Abend hat Altmaier damit immer noch Recht. Aber froh machen kann ihn das nicht. Bei sechs Abstimmungen zur Euro-Rettung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Kanzlermehrheit aus den eigenen Reihen hinter sich gebracht. Am Montag beim verflixten siebten Votum über das zweite Griechenlandhilfspaket reißt die Koalition die symbolisch bedeutsame Marke. Nur 304 Abgeordnete von CDU, CSU und FDP stimmen dem 130-Milliarden- Euro-Paket noch zu. Das reicht allemal, um das Paket abzusegnen, zumal SPD und Grüne es wieder mit tragen. Doch für Merkel und ihr chronisch angeschlagenes Regierungsbündnis ist die Abstimmung ein weiterer Tiefschlag.

Wie verlief die Abstimmung, und wie ist das Ergebnis zu werten?
330 Abgeordnete stellt die Koalition, bei 311 liegt die Marke für die Kanzlermehrheit, also die Mehrheit der Sitze im Parlament. Technisch ist sie für die Griechenlandhilfe nicht erforderlich – für das Hilfspaket reicht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen völlig aus. Doch die Koalitionsführung hat sich aller öffentlicher Coolness zum Trotz stets bemüht, die Kanzlermehrheit doch zu schaffen. Schließlich bedeutet sie eine Art informelles Vertrauensvotum für Merkel.

Doch das Vertrauen in die Krisenpolitik ist vor allem in der Union kontinuierlich geschrumpft. Schon bei der letzten Euro-Abstimmung über den Rettungsfonds EFSF kam die Kanzlermehrheit nur noch auf den Punkt zustande; damals verweigerten sich 15 Abgeordnete. Diesmal stimmten sogar 17 Abgeordnete von CDU/CSU und FDP mit Nein, dazu kamen drei Enthaltungen. Selbst wenn die aktuell sechs Kranken der Koalition sich in den Plenarsaal geschleppt hätten, hätte es maximal für 310 Ja-Stimmen gereicht.

Verweigert haben sich die üblichen Verdächtigen sowie, wie es ein Unionsmann formuliert, „die, die beim letzten Mal noch mit großen Bauchschmerzen mitgemacht haben“. Die Nein-Sager bilden schon eine Art harten Kern: Veronika Bellmann, Wolfgang Bosbach, Thomas Dörflinger, Herbert Frankenhauser, Alexander Funk, Peter Gauweiler, Manfred Kolbe, Paul Lehrieder, Carsten Linnemann, Thomas Silberhorn, Christian von Stetten, Stephan Stracke und Klaus-Peter Willsch bei der Union, Jens Ackermann, Sylvia Canel, Frank Schäffler und Torsten Heiko Staffeldt bei der FDP. Enthalten haben sich die CDU-Abgeordneten Christian Hirte und Hans-Georg von der Marwitz sowie Erwin Lotter von der FDP.

Wie reagiert die Opposition?

Der Opposition fällt unabgesprochen das gleiche Wort ein, um das Ereignis zu kommentieren: Kanzler- respektive grün-korrekt „Kanzlerinnendämmerung“. Dabei zeigt das gemächliche Tempo der Reaktionen, dass auch SPD und Grüne nicht mit dem politischen Geschenk gerechnet hatten. Altmaiers SPD-Kollege Thomas Oppermann findet als Erster die Sprache wieder: Merkel sei „politisch gescheitert“, dies der Beginn der Kanzlerdämmerung. Jürgen Trittin und Renate Künast folgen: „Merkels Kanzlerschaft erodiert“, lästern die Grünen-Fraktionschefs. Sie sei in der zentralen Frage ihrer Politik ab jetzt von der Opposition abhängig. Und wie verteidigt sich die Union? Altmaier versucht zu retten, was halt noch zu retten ist. „Für Kanzlerin Angela Merkel bedeutet das Ergebnis die Gewissheit, dass weiterhin eine ganz große Mehrheit in der eigenen Koalition und im Bundestag insgesamt hinter ihrer Politik in der Euro-Krise steht“, gibt er tapfer zu Protokoll. Doch der Merkel-Vertraute weiß, dass die Botschaft dieses Abends eine andere ist: Der Rückhalt bröckelt. Merkel selbst weiß das schon länger. In den letzten Fraktionssitzungen hat sie ihren Kurs nicht mehr als alternativlos dargestellt. Auch am Montag im Bundestag versucht sie die Zweifler dadurch zu überzeugen, dass sie auf sie zugeht: „Eine 100-prozentige Erfolgsgarantie kann niemand geben“, gibt sie zu, sagt aber auch, dass Griechenland seine Geldgeber immer wieder enttäuscht habe. Trotzdem sie das zweite Hilfspaket der bessere Weg, als Griechenland scheitern zu lassen: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland soll und muss ich zuweilen Risiken eingehen“, sagt Merkel. „Abenteuer aber darf ich nicht eingehen. Das verbietet mein Amtseid.“

Wie kam es zu Merkels Schlappe?

Die FDP-Führung will mit der zweiten Niederlage Merkels in kurzer Zeit diesmal nichts zu tun haben. FDP-Generalsekretär Patrick Döring schiebt vielmehr die Schuld auf den Partner: „Wir sehen mit Sorge, dass der Euro-Kurs der Bundesregierung innerhalb der Unionsfraktion ganz offensichtlich kontinuierlich schwindet.“ SPD-Mann Oppermann wiederum hat einen ganz speziellen Schuldigen ausgemacht: „Wenn sogar Mitglieder des eigenen Kabinetts der Linie der Bundeskanzlerin offen widersprechen, darf sich Frau Merkel nicht wundern, wenn ihr nun auch die Abgeordneten der Koalition nicht mehr folgen.“ Gemeint ist Hans-Peter Friedrich. Der Innenminister von der CSU hat am Wochenende im „Spiegel“ den Griechen den Austritt aus dem Euro nahegelegt und den übrigen Europäern empfohlen, „Anreize für den Austritt“ zu schaffen. Merkel ließ ihren Regierungssprecher widersprechen. Friedrich machte einen halben Rückzieher: Natürlich werde er dem zweiten Paket zustimmen, denn „vorläufig“ sei das Hilfspaket „die beste Lösung“.

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