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Zwischen Berlusconi und Monti: Wie tickt Italien?

Die Menschen sind von der Politik von Regierungschef Mario Monti enttäuscht, die Wirtschaft hat große Probleme. Jetzt will auch noch Silvio Berlusconi zurück an die Macht. Wohin steuert das Land und was wollen die Italiener?

In Taranto müssen sie dieser Tage wieder einmal dreihundert Schafe schlachten. Die Tiere sind mit Dioxin verseucht und für menschliche Nahrungszwecke nicht mehr zu gebrauchen. Aber was hilft’s? Die Menschen dort unten am Absatz des italienischen Stiefels, dort, wo das größte Stahlwerk Europas seit Jahrzehnten auch die größte Dreckschleuder des Kontinents ist, nehmen sie das Gift auf tausend andere Weisen zu sich. Jeden Tag. Sie können gar nicht anders.

Das Zeug staubt durch die Luft in die Lungen. Die Krebsraten liegt um ein Drittel höher als im Rest des Landes und die Sterblichkeit um bis zu fünfmal so hoch. Was die Regierung von Mario Monti damit zu tun hat? Nichts.

Aber Taranto ist ein Sinnbild. Für all die Sachen, die in Italien liegen geblieben sind über Jahrzehnte, vergessen an der Peripherie, ausgeliefert der Kungelei zwischen Regionalpolitikern und Industriebaronen, dem Klientelismus von Parteien und Gewerkschaften, ruhig gestellt – wenn unwirtschaftliche Jobs mal wankten – durch staatliche Transfer-Milliarden, die Probleme aber nie gelöst, nur aufgeschoben, verschlimmert. Heute ist das Stahlwerk in Taranto per Gerichtsbeschluss komplett stillgelegt, tausende von Arbeitern stehen auf der Straße, die ganze von Taranto abhängige Stahlverarbeitung des Landes stockt. Und Monti, der schon genug Probleme am Hals hat, soll sich auch darum noch kümmern.

Wieso sind die Italiener so enttäuscht von der Regierung Monti?

Die „Techniker-Regierung“ von Mario Monti, schwebte so rein und unbestechlich über den Niederungen des Landes, dass das Volk all seine Hoffnungen auf sie projizierte. Mit 75 Prozent Vertrauen und Zustimmung ist Mario Monti im November 2011 angetreten. Maximal 16 Monate, das war von Anfang an klar, würde er Zeit haben, sämtliche Probleme Italiens zu lösen. Jetzt geht er früher, aus den alten Niederungen per Handstreich hinweggefegt. Und wenn Monti sich heute zur Wahl stellte, bekäme er im besten Falle 20 Prozent der Stimmen. Es kursieren heute Fotomontagen in Rom, die Monti als Scheinheiligen zeigen: Sein Konterfei in ein süßlich-frommes Jesusbildchen geklebt, drunter geschrieben „San Guisuga“. Das sieht nur aus wie ein Heiligenname. Zusammengeschrieben heißen die beiden Wörter „Blutsauger.“ An Steuern und Abgaben zahlt jede italienische Familie dieses Jahr im Durchschnitt 726 Euro mehr. Gerade diese Familien – Italiens einziges wirkliches Sozialsystem – leiden. Der Konsum geht nach Angaben der Handelsverbände auf das Niveau der frühen neunziger Jahre zurück; der Autokauf ist um mehr als ein Viertel eingebrochen, was Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hat, denn zu Italien gehört eine starke Auto- und Zuliefererbranche.

Wie ist Montis politische und wirtschaftliche Bilanz?
So ist ein Teufelskreis entstanden: Die Arbeitslosenrate liegt höher als vor der Techniker-Regierung; von 8,4 auf 11,1 Prozent ist sie gestiegen, bei den jungen Leuten von 28,9 auf 36.5 Prozent. Da sind jene Tausenden von beispielsweise Fiat-Arbeitern noch gar nicht dabei, die seit Monaten und für unabsehbare Dauer auf Kurzarbeit oder „Kurzarbeit Null“ gesetzt sind.
Gleichzeitig verkündet die Regierung Monti finanzpolitische Erfolge: die Steuereinnahmen sprudeln derart, dass das Land den europaweit höchsten „Primärüberschuss“ erzielt – was dann wieder mit den Meldungen des Finanzministeriums vom Freitag kollidiert, denen zufolge Italiens Staatsverschuldung im Oktober die Zwei-Billionen-Euro-Marke überschritten habe.

Das römische Meinungsforschungsinstitut Censis schreibt in seiner neuen Jahresstudie, „die kläglichen Planziele der Regierung (mehr Wachstum, mehr soziale Ausgewogenheit, mehr Europa)“ hätten nichts genützt. Auch das bedeutendste italienische Wirtschaftsblatt, die vom Unternehmerverband herausgegebene Zeitung „Il Sole 24 Ore“, urteilt hart über die Reformen der Regierung Monti: Von den angestoßenen Maßnahmen zur Rettung Italiens, für Wachstum und Steuervereinfachung, für mehr Beschäftigung und gegen die verkrustete, ineffiziente öffentliche Verwaltung, seien erst 22 Prozent umgesetzt. Der Rest, die Ausführungsdekrete und Einzelgesetze, ist demnach hängen geblieben im Gezänk des Parlaments (auch Montis Techniker–Regierung konnte ja nur so weit reichen, wie Parteien und Sozialpartner mitzugehen bereit waren), in der bremsenden Ministerialbürokratie (wo Monti mit derselben Mannschaft weitermachen musste, mit der Berlusconi aufgehört hatte), und in der Regierung selbst, die sich nach dem großen Wurf der Rentenreform zunehmend im Klein-Klein verzettelt hat.

Eines werfen Monti alle vor: dass er den Haushalt saniert hat allein durch Einnahmen, nicht aber durch Kürzung bei den Ausgaben. Gerade in diesem Bereich ist am wenigsten, nur ein Siebtel aller Projekte umgesetzt. Mehr wird’s auch nicht werden, denn das Parlament – das auch hier die umsetzenden Normen beschließen muss – stellt an Weihnachten die Arbeit ein.

Gerade in den letzten Tagen haben die Parteien durch Untätigkeit und Widerstreben ein Projekt Montis scheitern lassen, das ein großer Wurf hätte sein können: Die Abschaffung, zumindest die Reduzierung der 86 Provinzen, also einer kompletten Verwaltungsebene. Das hätte dem Staat Milliarden gespart – die Parteien aber um jene zahlreichen Pfründen und gut bezahlten Posten gebracht, mit denen sie traditionell die eigene Klientel versorgen. Die Bürger haben immerhin verstanden, welche Rolle die Parteien spielen. Wenn man es als Gradmesser nehmen darf: das Vertrauen der Italiener in ihr Parlament ist innerhalb von zwei Jahren von 26 auf 8 Prozent gefallen.

Welche Chancen hat Silvio Berlusconi?

Was kann sich durch eine Neuwahl ändern?
In acht Wochen aber sollen die italienischen Bürger ein neues Parlament wählen – unter genau denselben Parteien, denen sie nicht mehr vertrauen, - die nur ein Jahr aufs Regieren verzichtet haben, froh darüber, dass ihnen ein anderer die unpopuläre Aufgabe der Haushaltssanierung abgenommen hat, und die es nicht mehr erwarten können, an die Macht zurückzukehren. Was Wunder, sagen die Meinungsforscher, dass die Zahl der Unentschiedenen auf 48 Prozent gestiegen ist. So etwas gab’s in Italien noch nie.
Doch halt: die Zahlen, vor einer Woche erst erhoben, sind veraltet. Italiens zementiertes Parteiengefüge baut sich plötzlich in atemberaubendem Tempo und mit unvorhersehbarem Ausgang um. Mario Monti, der Ministerpräsident mit Ablaufdatum, eben erst zurückgetreten – er ist auf einmal zur Zentralfigur geworden. Und so lange er nicht entschieden hat, ob und für welches Wahlbündnis er erneut antritt, wackelt die Basis aller Umfragen.

Welche Chancen hätte bei dieser Stimmung Silvio Berlusconi?
Silvio Berlusconi ist bisher ja nicht nur seiner Person oder seiner Fernsehmacht wegen gewählt worden, sondern weil die eine Hälfte Italiens immer schon Mitte-Rechts wählt und Berlusconi diesen Bereich monopolisiert hat. Für Italiener, die nie und nimmer etwas Linkes ankreuzen wollten, gab es – außer den kleinen Christdemokraten – seit 18 Jahren faktisch nur mehr Berlusconi.

Jetzt löst sich dieser Block auf. Um Monti herum könnte sich eine neue Mitte bilden, sagen Wahlforscher. Sie würde sich aus der zerfallenden Berlusconi-Partei „Volk der Freiheit“ ebenso speisen, wie sie an den heute so siegesgewissen Sozialdemokraten von Pier Luigi Bersani knabbern würde. Montis Mitte bekäme, wie gesagt, bis zu 20 Prozent der Stimmen. Die Prognose jedoch basiert noch auf einer Kandidatur Berlusconis; diese könnte sich – jedenfalls nach heutigem Stand – durch die Brüsseler Krönung Montis im Kreis der Europäischen Volkspartei erledigt haben. Und bei den unverbindlichen, persönlichen Sympathiewerten liegt Monti trotz allem immer noch genauso weit vorne wie Bersani.

Unversehens in die Defensive geraten, wandeln sich sogar die Sozialdemokraten. Gegen den Willen des gesamten Apparats hat der jüngst per Urwahl zum Spitzenkandidaten gekürte Bersani jetzt auch noch „Primaries“ auf Wahlkreisebene ausgeschrieben. Plötzlich sollen die Anhänger der Partei eigenhändig tun, was sich bisher die Zentrale vorbehält: die Parlamentskandidaten bestimmen.

So manche der Alten, heißt es, seien jetzt ins Zittern geraten. So ein Zittern – das wissen die Italiener nur allzu gut – kann der Vorbote eines großen Erdbebens sein; es kann sich aber genausogut und ohne Folgen wieder legen. Vorauszusagen ist derzeit gar nichts.

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