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Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Bundesvorsitzende, hat Streit mit Netz-Influencern.

© Kay Nietfeld/dpa

Zwist mit Youtubern: Und was, wenn Kramp-Karrenbauer einen Punkt hat?

Die CDU-Chefin fängt sich wegen einer uneindeutigen Äußerung einen Shitstorm ein. Dabei spricht sie ein im Digitalzeitalter zentrales Thema an.

Nach der Zerstörung der CDU durch den Web-Videoproduzenten „Rezo“ folgt die Zerstörung der CDU-Kanzlerhoffnung Annegret Kramp-Karrenbauer durch sie selbst. Als Reaktion auf den Publikumserfolg von dessen Parteiverriss wirft sie die Frage auf, welche Regeln im digitalen Bereich angesichts von Meinungsmache vor einem Wahltermin gelten sollten. Regeln für Rezo? Für viele hört sich so etwas an wie Zensur.
Das reicht für den üblichen Shitstorm. Erst hat sich die Parteivorsitzende über das Video lustig gemacht, indem sie von der Schuld an den biblischen Plagen sprach, die Rezo ebenfalls noch der CDU aufgeladen haben könnte. Dann das mit der Zensur. So sieht sie aus, die kalte Arroganz der Macht.
An dem Beispiel ist gut zu beobachten, welche Regeln für politische Auseinandersetzungen nicht nur für den digitalen Bereich und nicht nur in Vorwahlzeiten gelten. Regel Nummer eins: Du musst krass sein. Regel Nummer zwei: Du muss laut sein. Regel Nummer drei: Feiere es oder zerstöre es.

Ein schönes Missverständnis erzeugt die meisten Debatten

Wem diese Regeln auf Dauer zu blöd sind, für den gibt es noch ein paar andere. Etwa diese: Schau genau hin, bevor du dir ein Urteil bildest. Höre die andere Seite an. Wäge, was abgewogen werden kann. Mach dich schlau. Sei fair.
Kann demnach sein, dass die Politikerin mit „Regeln“ anderes meinte, als Zensurgesetze zu erlassen.  Und so bestätigt sie diesen Verdacht auch einen Tag später mit dem Hinweis, sie habe doch nur die Streitkultur im Netz treffen wollen. Doch klar, derlei Uneindeutigkeit provoziert. So arbeiten viele Politiker. Ein schönes Missverständnis erzeugt mehr Debatten als eine Aussage, die jeder sogleich verstehen kann.
Ob der Kanzler-Anwärterin solche Spielchen eher schaden oder nützen, ist offen. Fest steht, dass sie mit dem Netz und den Regeln ein Thema anschneidet, das Aufmerksamkeit verdient. Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass einer Nazi-Kleinpartei der Facebook-Account entsperrt werden muss. Die Meinungsfreiheit bricht sich im Netz derzeit eher Bahn, als dass sie eingeschränkt wird. Um strafbare Äußerungen besser unterbinden zu können, wurde den sozialen Netzwerken ein Gesetz aufgedrückt. Nun, wo viel gelöscht wird, gerät wieder das Recht in den Blick, sagen zu dürfen, was man denkt. Auch dafür wird die Politik absehbar neue Regeln schaffen müssen.

Bedenklich wäre, wenn die Vielfalt Einfalt produziert

Das derzeit trendige Kramp-Karrenbauer-Bashing wird dann sogar noch besser möglich sein als es liberale Gretakritik oder Rezos linke Propagandashow heute schon sind. Die mediale Vielfalt im Netz und außerhalb wird immer bunter. Bedenklich wäre nur, wenn sie am Ende Einfalt produziert; wenn Rhetorik Aufklärung ersetzt; wenn Sachlichkeit in Kampagne untergeht. Was das Netz für die Entwicklung von Politik und Demokratie bedeutet, zeigt sich erstaunlich langsam. Für manche ist zum fürchten, was sie da sehen. Kann sein, dass Kramp-Karrenbauer dies mit ihren Worten andeuten wollte. Muss man sie dafür kritisieren?

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