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© AFP

Zypern: Checkpoint Ledra-Straße

Die frühere Einkaufsmeile in Nikosias Zentrum war Symbol für das geteilte Zypern. Nun hat hier ein neuer Grenzübergang geöffnet.

Blau war das Fahrrad, und so groß, dass er nicht alleine aufsteigen konnte, daran erinnert sich Dimitris ganz genau. Fünfzig Jahren ist es her, dass der damals achtjährige Junge aus dem griechischen Teil Zyperns von seinem Vater an die Hand genommen wurde, um in der Ledra-Straße im Herzen der Hauptstadt Nikosia das Rad zu kaufen. „Das war wie das Paradies“, lächelt der heute 58-Jährige. „Eine sehr schöne Straße war das.“ Doch wenig später wurde die Einkaufsmeile zu einer Todeszone, wo sich Griechen und Türken verbissen bekämpften – und damit zu einem Symbol der Teilung der Mittelmeerinsel.

An diesem sonnigen Donnerstagmorgen können Dimitris und andere Zyprer zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert wieder die Ledra-Straße betreten. Tausende sind gekommen, viele ältere Menschen sind darunter. In der Ledra-Straße wurden im Dezember 1963 die ersten Barrikaden zwischen Griechen und Türken errichtet; Einschusslöcher an den Ruinen der verlassenen Häuser entlang der Straße zeugen von den schweren Kämpfen. Jetzt wird hier ein neuer Grenzübergang eröffnet zwischen den beiden Teilen Nikosias. Für Zypern ist dieser Tag so, als würden Checkpoint Charlie und das Brandenburger Tor gleichzeitig für den Besucherverkehr freigegeben.

UN-Soldaten hatten in den vergangenen Tagen im etwa hundert Meter breiten Niemandsland der Ledra-Straße nach Minen und alten Geschossen gesucht. Sie verlegten eine neue Asphaltdecke, stützten baufällige Häuser ab und brachten an beiden Straßenseiten hellblaue Sichtblenden an, die die Spuren der Kämpfe aber nicht ganz verdecken können.

Politiker sprechen von einem „historischen Tag“ und lassen bunte Luftballons aufsteigen: Ab sofort soll die Ledra- Straße ein Symbol für die Hoffnung auf Wiedervereinigung sein. Der neue griechisch-zyprische Präsident Dimitris Christofias und der türkisch-zyprische Volksgruppenführer Mehmet Ali Talat haben den Neubeginn von Einigungsgesprächen vereinbart und die Öffnung der Straße gleich mit. „Wir haben so lange auf eine Lösung gewartet, dass wir alt geworden sind“, sagt Dimitris. „Mein Vater, mein Großvater – alle sind tot.“

Im Dezember 1963 saß Dimitris mit Vater und Großvater zu Hause, nicht weit von der Ledra-Straße, als er die ersten Schüsse hörte. „Sie kamen von hier“, sagt er. Sein Vater habe ihm sofort eingeschärft: „Du gehst morgen nicht in die Schule.“ Griechische Milizen drangen damals in den vorwiegend türkisch bewohnten Nordteil Nikosias ein, wurden zurückgeschlagen – und dann verschanzten sich beide Seiten in der Ledra-Straße.

Viele Griechen, deren Volksgruppe mit rund 700 000 Menschen den 200 000 Türken auf der Insel zahlenmäßig weit überlegen ist, wollten damals den Anschluss Zyperns an Griechenland erkämpfen. In den Gefechten der sechziger und siebziger Jahre gerieten die Türken immer stärker unter Druck. Für die Inseltürken war Ankaras Einmarsch von 1974, der die Teilung der Insel besiegelte, ein Akt der Nothilfe. Dimitris kann verstehen, wenn einige Türken heute noch Angst vor den Griechen haben. „Wir haben Fehler gemacht, wir waren ein wenig zu aggressiv“, sagt er. „Generell akzeptiert unser Volk aber nicht, dass wir Fehler gemacht haben.“ Diese Art von Selbstkritik ist nicht selbstverständlich, weshalb Dimitris seinen Nachnamen lieber nicht nennen will.

Mittlerweile hat sich vor dem Kunststoffhäuschen der türkisch-zyprischen Grenzbeamten in der Ledra-Straße eine lange, aber gut gelaunte Schlange von Griechen gebildet, die in den türkischen Norden wollen und sich ein Tagesvisum abstempeln lassen. Hinter der Polizeiabsperrung auf der türkischen Seite stehen tausende Schaulustige, Mitglieder der Jugendorganisation von Talats proeuropäischer Partei CTP begrüßen die Gäste mit Liedern, Musik und roten Nelken. Die Bürgermeisterin des griechischen Teils von Nikosia, Eleni Mavrou, küsst ihren türkischen Amtskollegen Cemal Bulutoglulari. „Ich wollte hier unbedingt dabei sein“, sagt die Zyperntürkin Serefine Tunc. „Das ist so ein glücklicher Tag. Ich kann es kaum glauben.“

Der Übergang an der Ledra-Straße ist das sechste Loch in der zyprischen Mauer. Seit der Öffnung des ersten Grenzpostens vor fünf Jahren können sich griechische und türkische Zyprer besuchen; der Grenzverkehr ist zur Normalität geworden. Griechen kaufen im türkischen Sektor günstig Kleidung und Schmuck, gehen ins Casino oder besuchen die Hafenstadt Kyrenia – türkisch Girne – nördlich von Nikosia. Dimitris war erst am Wochenende mit seinen Kindern dort.

Umgekehrt suchen viele türkische Zyprer im griechischen Süden anständig bezahlte Arbeit, die sie in ihrem eigenen, international isolierten Teil der Insel nicht finden können. Und noch etwas ist für sie möglich geworden: Die Regierung des griechischen Inselteils stellt schon seit einiger Zeit auch allen türkischen Zyprern Pässe aus. Diese besorgen sich die EU- Pässe zum einen als Vorkehrung, falls es mit der formellen Wiedervereinigung nicht klappt – und zum anderen zur Reiseerleichterung, die an frühere ostdeutsche Sehnsüchte erinnert. „Ich hab’ mir auch meinen Pass geholt, das ist mein gutes Recht“, sagt die Zyperntürkin Tunc in der Ledra-Straße. „Früher konnten wir doch nirgendwohin reisen mit unseren türkisch-zyprischen Papieren. Jetzt können wir überall hin.“ Dann schreitet sie eilig weiter, in Richtung des griechischen Sektors.

Im Sonnenschein und in der sorglos- heiteren Atmosphäre der Ledra- Straße erscheint es fast unglaublich, dass Griechen und Türken in dieser Straße einst aufeinander schossen. Die Zyprer kämen schon miteinander klar, nur sollten die Türkei und Griechenland endlich aufhören, sich auf der Insel einzumischen, sagt Birol Pinar, ein 60-jähriger Inseltürke. „Spannungen? Das gibt es nicht“, sagt ein anderer. „Nur die Politiker haben noch Probleme miteinander.“

Wie empfindlich diese politischen Probleme das Zusammenwachsen noch stören können, das zeigte sich allerdings gleich am ersten Tag des Wiedersehens an der Ledra-Straße: Der Übergang wurde von den griechisch-zyprischen Behörden schon am Abend wieder vorübergehend geschlossen, um gegen die Sichtung von türkisch-zyprischen Polizisten im Grenzgebiet zu protestieren.

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