zum Hauptinhalt
Bild des Schreckens. Eine Luftaufnahme zeigt das Ausmaß des Erdrutsches von Nachterstedt im Jahr 2009. Insgesamt drei Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Eine ähnliche Katastrophe drohe auch dem Dorf Lieske (Spree-Neiße), warnt Greenpeace.

© dpa

Brandenburg: Die Angst vor dem großen Rutsch in der Lausitz

Dem Braunkohle-Dorf Lieske droht eine Katastrophe von möglicherweise größerem Ausmaß als 2009 in Nachterstedt, warnt die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Der gesamte Ort könnte von einer Schlammlawine in die Tiefe gerissen werden

Stand:

Cottbus - Drei Tage nach der Katastrophe hatten die Einsatzkräfte aufgeben. Für die drei Vermissten aus Nachterstedt bestand keine Hoffung mehr auf Rettung. Selbst die Wärmebildkameras hatten kein Lebenszeichen entdecken können. Ein rund 350 Meter breiter Streifen Land war am frühen Morgen des 18. Juli 2009 in den südlichen Ausläufer des Concordiasees, einem ehemaligen Tagebauloch, gerutscht, hatte dabei ein zweistöckiges Einfamilienhaus, einen Teil eines Mehrfamilienhauses sowie einen Straßenabschnitt und eine Aussichtsplattform mit sich gerissen. Das Unglück im alten sachsen-anhaltinischen Braunkohlerevier hatte ganz Deutschland berührt – auch die Hildebrandts aus Lieske Im Landkreis Spree-Neiße. „Das berührt jeden, der an einer Grubenkante lebt“, sagt Dietmar Hildebrandt. Zumal ihm und seiner Frau möglicherweise eine ähnliche Gefahr droht: Einem von der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Auftrag gegebenen Gutachten zufolge könnte auch unter Lieske das Erdreich abrutschen. Die Katastrophe könnte sogar noch schlimmer ausfallen als in Nachterstedt, warnt Greenpeace.

Anlass für die Befürchtungen sind die Pläne des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall, die Braunkohleförderung im Tagebau Welzow-Süd auszuweiten. Das sogenannte Teilfeld II, das Vattenfall neu aufschließen will und für das seit 2007 bei der gemeinsamen Landesplanungsbehörde der Länder Berlin und Brandenburg ein Planungsverfahren läuft, würde bis auf wenige hundert Meter an Lieske grenzen. Das typische brandenburgische Straßendorf wäre damit zwischen dem Sedlitzer See, ebenfalls eine alte Tagebaugrube und dem neuen Fördergebiet eingequetscht. An der schmalsten Stelle wäre der Ort nahe Welzow gerade einmal 500 Meter breit. Insgesamt geht Vattenfall von 750 Millionen Tonnen Braunkohle aus, die bei Welzow lagern.

Damit das längst noch nicht genehmigte Teilfeld II nicht voll Grundwasser laufen kann, baut Vattenfall derzeit mit Genehmigung des brandenburgischen Landesbergamtes vorsorglich eine 100 Meter tiefe Dichtwand entlang der geplanten Tagebaukante am Rande von Lieske. Diese aber sei völlig unzureichend, weise mehrere Schwachstellen auf und könnte deshalb unterspült werden, heißt es in dem Gutachten des habilitierten Geologen Ralf Krupp. „Die Dichtwand wurde einfach nicht ordnungsgemäß konstruiert“, meint auch Greenpeace Energieexperte Gerald Neubauer. Sie hätte eigentlich tief bis in eine wasserundurchlässige Schicht, etwa aus Ton, gebaut werden müssen. Stattdessen ende sie in einer durchlässigen Sandschicht, fasst Neubauer das Ergebnis des Gutachtens zusammen. Zudem seien Fehlstellen, also Risse oder kleine Löcher, in der künstlichen Tonwand aufgrund baulicher Mängel oder äußerer Einwirkungen wie Erschütterungen durch Schwerlastverkehr oder Braunkohlebagger nicht auszuschließen, warnt Neubauer. Doch ist die Tagebaugrube erst ausgehoben, laste ein enormer Druck auf der Dichtwand und dem schmalen Damm, auf dem Lieske steht, warnt Neubauer. Denn der Höhenunterschied zwischen der Wasseroberfläche des Sedlitzer Sees und dem abgesenkten Grundwasserspiegel im Tagebauloch betrage den Plänen zufolge 60 Meter. Laut Gutachten würde das Wasser also mit sechs bar auf die Barriere drücken. Wenn der Damm reist, würden sich gigantische Wassermassen in den Tagebau ergießen, befürchtet Greenpeace. Das Leben der hundert Dorfbewohner stehe auf dem Spiel, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) dürfe Welzow-SÜD II auf keinen Fall genehmigen, fordert die Umweltschutzorganisation.

Angst habe er zwar nicht, meint Hildebrandt, aber Sorgen über die Standsicherheit mache man sich im Ort schon, seit man die Pläne kenne. Der 57-jährige Unternehmer wohnt seit Mitte der 80er Jahre in Lieske. Seine Frau dagegen stammt aus dem Ort. Gemeinsam haben sie sich ein altes Bauernhaus augebaut.

Der Energiekonzern Vattenfall hält alle Sorgen freilich für unbegründet. Mit haltlosen Risikoszenarien werde das Ziel verfolgt, die Weiterführung des Tagebaus zu verhindern, heißt es in einer Stellungnahme zum Greenpeace-Gutachten. Dabei gehe Greenpeace auf unverantwortliche Weise mit den Ängsten der Liesker Bürger um.

Rutschungen wie in Nachterstedt, wenn auch nicht mit so schlimmen Folgen, hat es auch im Lausitzer Braunkohlerevier schon gegegeben. Dennoch findet auch der Präsident des Landesbergbauamtes, Klaus Freytag, den Vergleich etwas unglücklich. „Dort stand die Bebauung auf lockerem Boden. Lieske dagegen steht fest auf Brandenburger Erde“, meint Freytag. „Ich kenne das Gutachten zwar noch nicht, halte aber die geschilderten Szenarien für unwahrscheinlich.“ Zudem sei die Standsicherheit von Lieske bereits mehrfach „mit recht hoher Detailschärfe“ geprüft worden, meint der Präsident des Landesamtes.

Eine abschließende bergrechtliche Genehmigung für das Teilfeld II steht laut Freytag frühestens 2018 an. „Erst einmal muss geklärt werden, ob das Vorhaben überhaupt genehmigungsfähig ist.“ Viele Bürger aus der Region und zahlreiche weitere Natur- und Umweltschutzorganisationen sind sich offenbar bereits einig: Das Verfahren muss gestoppt werden. Knapp 5000 Einwände sind bereits gegen die Pläne für die Tagebauerweiterung bei der gemeinsamen Landesplanung eingegangen, sie sollen am 11. September in Cottbus erörtert werden. Auch Dietmar Hildebrandts Begeisterung für die Pläne hält sich in Grenzen – auch ohne drohende Katastrophe: „Auf so einem schmalen Streifen Land will man ja eigentlich gar nicht mehr leben.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })