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Unzertrennlich. Brandenburgs Regierungschef Woidke (links) mit dem Vattenfall-Aufsichtsrat Freese (beide SPD).

© Lausitzer Rundschau

Brandenburg: Ein Platzhalter für Vattenfall

Welchen Einfluss hatte der Energiekonzern auf Brandenburgs Regierungschef Woidke bei den Koalitionsgesprächen in Berlin ?

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Potsdam/Berlin - Die Braunkohletagebaue und Kraftwerke des Energiekonzerns Vattenfall in der Lausitz sind vorerst gesichert. So sieht es der Koalitionsvertrag von Union und SPD vor. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat maßgeblichen Anteil daran – und nicht nur er. Dem Regierungschef als Berater zur Seite stand bei den Koalitionsverhandlungen zur Energiepolitik der wichtigste Lobbyist der Braunkohlewirtschaft in Brandenburg: Ulrich Freese, jahrelang Funktionär bei der Bergbaugewerkschaft IG BCE, zugleich Mitglied im Aufsichtsrat der Vattenfall GmbH und zweier Konzerntöchter für Stromproduktion und Braunkohletagebaue und seit der Wahl im September Bundestagsabgeordneter der SPD. Schließlich übernahm er von Woidke, der nun Landeschef der SPD in Brandenburg ist, den Vorsitz des Unterbezirks Cottbus und Spree-Neiße. Beide kennen sich gut, kämpfen Seit an Seit, wenn es um die Braunkohle geht – sei es wie im Frühjahr in der Lausitz bei der Kampagne von regionaler Wirtschaft und Gewerkschaften für neue Tagebaue oder auch in der Bundeshauptstadt.

Freese ist ein Schwergewicht. „Kaum einer ist besser verdrahtet in der fossilen Energieszene als der Bundestagsabgeordnete aus der Lausitz“, heißt es in einem aktuellen Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ über Freeses Rolle als Woidkes Adlatus. Und über die Koalitionsverhandlungen heißt es darin: „Spätestens in der Sitzung der Arbeitsgruppe Energie wurde den SPD-Teilnehmern klar, was Freese wollte. Woidke zückte einen Zettel mit einem vorgedruckten Satz.“ Der gehöre unbedingt in die Koalitionsvereinbarung. Konkret geht es um diese Formulierung: „Die konventionellen Kraftwerke (Braunkohle, Steinkohle, Gas) als Teil des nationalen Energiemixes sind auf absehbare Zeit unverzichtbar.“ Laut Spiegel soll auf Freeses Betreiben hin dieser entscheidende Satz in den Koalitionsvertrag gekommen sein.

Für die Grünen in Brandenburg ist das ein Skandal und ein neues Beispiel für den Filz von Energiekonzernen und Politik. „Diese Art von Lobbyismus überschreitet ein paar Grenzen“, sagte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. „Woidke hat sich zum Platzhalter von Freese und sich willig zum obersten Interessensverwalter von Vattenfall gemacht. Ich vermisse die notwendige Trennschärfe zwischen Unternehmenslobbyismus und Ministerpräsidentenamt“, so Vogel. Damit hätte sich bewahrheitet, was er schon im Frühjahr prophezeit habe. Freese war damals auf den sicheren Platz drei der Landesliste der brandenburgischen SPD gesetzt worden und dann im September in den Bundestag eingezogen. Vogel hatte damals gewarnt, Freese sei nur nominiert worden, um den Ausstieg aus der Braunkohle zu torpedieren.

Auch der Verein Lobbycontrol, der über Lobbyismus und Machtstrukturen aufklärt und klare Schranken der Einflussnahme auf Politik und Öffentlichkeit fordert, sieht das Auftreten von Regierungschef Woidke in den Koalitionsverhandlungen kritisch. Es sei bekannt, dass gewisse Teile der SPD mit der Braunkohlewirtschaft eng verwoben seien und die Ministerpräsidenten die Wirtschaftsinteressen ihrer Länder in die Koalitionsgespräche mit einbringen. „Die Frage ist, wie groß die Nähe ist, dass hier noch die Orientierung am Gemeinwohl gegeben ist“, sagte Lobbycontrol-Sprecher Timo Lange. „Ein Ministerpräsident steht hier in der Verantwortung, darauf zu achten, dass ein Berater nicht über zu enge Kontakte und zu enge Verflechtungen zu bestimmten Interessengruppen verfügt.“ Dadurch könnten die Bürger den Eindruck gewinnen, dass nicht ihre Interessen an erster Stelle beim Regierungschef stehen, sondern Partikularinteressen.

Klara Geywitz, die Generalsekretärin der brandenburgischen SPD, verteidigte Ministerpräsident und SPD-Landeschef Woidke und seinen Berater Freese. Dafür aber musste sie auf Anfrage den ganz großen Bogen schlagen: „Seit dem Kaiserreich kämpft die SPD für Arbeitnehmermitbestimmung. Ulrich Freese vertritt im Aufsichtsrat von Vattenfall die Interessen der Mitarbeiter. Das Lobbyist zu nennen, verkennt den Widerspruch von Kapital und Arbeit.“

Freese selbst sagte den PNN, er sei bei zwei Beratungen der SPD-Arbeitsgruppe dabei gewesen. Er habe Woidke nicht gesagt, dass jene Formulierung zu den konventionellen Kraftwerken in den Koalitionsvertrag gehöre. „Beim Ministerpräsidenten braucht man keinen Zettel“, sagte Freese. Woidke als „Lausitzer Kind“ und Politiker wissen um die Bedeutung der Braunkohle. „ Ihm braucht man nicht aufzuschreiben, dass fossile Kraftwerke erforderlich sind für die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie und für die Industrie als Basis unseres Wohlstands“, so Freese. Er habe mit Woidke Gedanken ausgetauscht und den Diskussionsprozess in der Energiearbeitsgruppe der SPD gestaltet. Ohnehin sei in der SPD-Bundestagsfraktion die Möglichkeit eingeräumt worden, sich in den Arbeitsgruppen beratend zu beteiligen. „Ich habe mich dann eingeloggt“, sagte Freese. An der Aussage zu den Kraftwerken in der Koalitionsvereinbarung „hängt der Gehirnschmalz mehrerer Personen, mehr als nur Freese“. Er sei von Arbeitnehmerseite als Gewerkschaftssekretär und im Vorstand der IG BCE unterwegs gewesen. „Wenn sich dann die Interessen der Arbeitnehmer und des Unternehmens paaren, um gute Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung zu haben, dann kann man mich als Cheflobbyist bezeichnen“, sagte Freese.

Seinen Posten als Vize-Chef der IG BCE hat Freese übrigens aufgegeben. Im Oktober trat der 62-Jährige nach eigenen Angaben aus Altersgründen nicht erneut zur Wahl an und wurde feierlich verabschiedet. Im Aufsichtsrat von Vattenfall bleibt Freese trotz seines Bundestagesmandats aber noch – „auf Wunsch der Arbeitnehmervertreter“ und wegen „seit 23 Jahren gesammelter Erfahrung“ im Unternehmen.

Zumindest Lobbycontrol lobt es als richtigen Schritt, dass der Bundestagsabgeordnete nicht mehr Funktionär in der Gewerkschaft ist. Beides sei nicht miteinander vereinbar. Bei Freeses Aufsichtsratsposten ist Lobbycontrol zurückhaltender. „Man muss schauen, ob und wie er sich in Interessenskonflikte bringte“, sagte Vereinssprecher Lange. Es sei aber zu bedenken, wie „eine solch enge Verflechtung mit einer Interessengruppe in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und ob das politisch die beste Wahl ist“. Grünen-Fraktionschef Vogel dagegen forderte, Freese müsse auch seine Posten in den Aufsichtsräten von Vattenfall abgeben. „Die althergebrachte Liaison zwischen Konzernen und SPD ist problematisch, weil es hier um die wirtschaftlichen Interessen eines Unternehmens geht“, so Vogel.

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