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Ganz Berlin ist ein Drehort. Am Potsdamer Platz werden Passanten für das Projekt 24hBerlin gefilmt und befragt.

© dpa

Von Elena Senft und Sonja Pohlmann: Hauptstadt wird Hauptdarstellerin

„24hBerlin“: Laien und Profis filmen 24 Stunden lang Leben und Menschen in der Metropole / Ausstrahlung am 5. September 2009 auf RBB und Arte

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Berlin - Als es um sechs Uhr endlich losgeht, hält Thomas Kufus kurz inne, es ist sein Glücksmoment, den er genießen will, sein Traum wird wahr: Berlin wird dokumentiert, von 80 Kamerateams, die einen Tag und eine Nacht lang ununterbrochen in der Hauptstadt filmen. Und von Laien, die ihre eigenen Eindrücke und Erlebnisse an diesem Tag mit Camcordern und Handykameras dokumentieren und über einen Upload im Internet zur Verfügung stellen – um so an einem Stück Fernsehgeschichte mitzuarbeiten, das sich Kufus zusammen mit Regisseur Volker Heise in der gemeinsamen Firma „zero one film“ ausgedacht hat: „24h Berlin“ heißt dieser Film, der gestern gedreht wurde. Genau ein Jahr später, am 5. September 2009, wird er 24 Stunden am Stück von den Sendern RBB und Arte ausgestrahlt, die das rund drei Millionen Euro teure Projekt zusammen mit Medienboard Berlin-Brandenburg koproduziert haben.

Während Kufus um sechs Uhr morgens seinen Glücksmoment genießt, schalten Julian Steinemann und seine drei Kumpels die Kamera an. Die Filmstudenten gehören zu keinem der professionellen Teams, sondern drehen privat 24 Stunden Berlin. Ein Kiosk an der Grillparzer Straße in Steglitz ist ihre erste Einstellung, jeden Morgen trinken hier ein paar Müllmänner nach der Arbeit ihren Kaffee. Die drei wollen das zeigen, was jenseits von Sehenswürdigkeiten passiert. Was privat ist. Was keinen Glamour hat und kein Forum – aber seinen Reiz. Als sie die Müllmänner im Kasten haben, fahren sie deshalb zum Grunewalder Roseneck, gucken, was morgens in einem reichen Bezirk passiert. Es war tot, sagen sie. Ein Mercedes stand noch neben dem anderen. Die Reichen scheinen später aufzustehen. Nachmittags fahren sie zu Steinemanns Nachbarn nach Wilmersdorf, der ist schwer an Krebs erkrankt, sitzt den ganzen Tag in seiner Wohnung und schreibt an seinen Memoiren. Mitten in Berlin. Ohne dass es jemand bemerkt.

Das ändert sich vielleicht in einem Jahr, wenn „24hBerlin“ fertig ist und ausgestrahlt wird. Mehr als 1000 Stunden Filmmaterial müssen bis dahin gesichtet, sortiert und vor allem so geschnitten werden, dass sie tatsächlich das Leben in Berlin möglichst realistisch mit all seinen Facetten wiedergeben. Aber mittags um zwölf denken Kufus und Heise noch nicht an diese Herausforderung. Sie haben die Nacht zu Freitag kaum geschlafen, letzte Drehgenehmigungen wie die für eine Beerdigung auf einem Friedhof in Treptow mussten eingeholt werden. Hier in ihrer Produktionsfirma in der Lehrter Straße laufen heute alle Fäden zusammen. Zwanzig Boten pendeln ständig zwischen der Firma und den Kamerateams hin und her, um die Chips aus den Kameras auszutauschen. 500 Euro kostet einer, deshalb bekommt jedes Team nur drei Stück, die jeweils 100 Minuten reichen. Sind sie voll, ist Tobias Büchner dran.

Büchner sitzt in der Produktionsfirma und nimmt die Chips von den Boten entgegen. Wie Ärzte sehen er und seine 14 Mitarbeiter in ihren weißen Kitteln aus – und tatsächlich sind sie es, die „24hBerlin“ am Leben halten. Im sogenannten Downloadcenter sitzen sie vor ihren Laptops und speichern das Filmmaterial, das von den Boten abgeliefert wird. Hier sichern sie auch all die Filme, die Laien wie Steinemann mit ihren privaten Kameras drehen und auf der Seite www.24hberlin.tv hochladen.

Auf den Servern wird später auch das liegen, was Klaus Handrich zu sagen hat. Er kommt aus Thüringen, besucht gerade seinen Sohn in Berlin und hat am Brandenburger Tor den Talkpoint entdeckt. Zwölf solcher Talkpoints sind über die ganze Stadt verteilt. All diejenigen, die keine eigene Kamera haben, dürfen sich hier äußern. „Was haben Sie heute gemacht?“ wird Handrich beispielsweise gefragt. Im Café gesessen, eine Stunde lang, antwortet er. Spannend hört sich das nicht wirklich an.

Aber genau solche eher langweiligen Momente will Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ebenso in „24h Berlin“ festgehalten wissen. „Berlin ist nämlich nicht nur Party“, sagt er. Er wünscht sich einen Film, der die Sinfonie der Hauptstadt wiedergibt. Und weil er nun mal so etwas wie der Konzertmeister ist, lässt er sich ebenfalls den ganzen Arbeitstag lang begleiten. Susanna Salonen und Yvonne Gerber folgen Wowereit mit Kamera und Mikrofon auf Schritt und Tritt – fast zumindest. Als Wowereit am Vormittag Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft, müssen die beiden draußen bleiben. Und eine weitere Bedingung stellte Wowereit vorher noch: auf die Toilette will er unverkabelt gehen.

Sascha Lobo folgt ein Kamerateam dafür sogar bis in Schlafzimmer. 3Sat dreht heute einen Film darüber, wie der Autor und Blogger lebt und arbeitet. Und weil die Dreharbeiten ausgerechnet auf diesen Tag fallen, filmt Lobos Freundin Nadine Freischlad jetzt für „24h Berlin“, wie ihr Freund gefilmt wird. So metamedial, sagt Lobo, mag er es gerne. Lobo ist einer der prominenten Paten von „24h Berlin“. Er findet die Idee, eine Stadt zu dokumentieren, „charmant größenwahnsinnig.“ Es kann nur ein Versuch sein, meint er. Aber weil es nicht nur einen Schuss gibt, sondern durch die 80 Kamerateams und zusätzlichen Laien eine Vielzahl von Schüssen, könnte am Ende vielleicht tatsächlich ein Film entstehen, der die Vielfalt Berlins dokumentiert.

Als Lobo nachts seine Kamera ausschaltet, wird DJ Paul van Dyk immer noch gefilmt. Er legt im Techno-Club Tresor auf und soll später im Film das Nachtleben der Stadt repräsentieren. Um sechs Uhr geht auch für ihn die Kamera aus. 24 Stunden Berlin sind abgedreht – die Stadt pulsiert weiter.

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