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Brandenburg: Klauen erlaubt

Manfred Tamm überrascht die Zechiner Kinder mit kleinen Geschenken im Vorgarten

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Manfred Tamm überrascht die Zechiner Kinder mit kleinen Geschenken im Vorgarten Von Bernd Kluge Seelow. Die „Klau-Tanne“ im Garten von Manfred Tamm ist nicht groß. Dennoch hat sie sich in der Adventszeit zu einer Attraktion im Oderbruch-Dorf Zechin entwickelt. Das Gerüst der „Klau-Tanne“ trägt schwer unter der Last von allerlei Geschenkbeuteln mit Schokoladen-Weihnachtsmännern, Lebkuchenherzen und Spielzeug. Ein Weihnachtsbaum würde unter dieser Last wahrscheinlich zusammenbrechen – deshalb das Holzgerüst. Die Kinder des Ortes sowie umliegender Dörfer kennen die Kreation des selbsternannten Weihnachtsmannes bereits, greifen ohne Scheu zu und pflücken die mit Wäscheklammern befestigten, schleifengeschmückten Beutelchen aus Tamms Vorgarten. „Die ''Klau-Tanne'' soll ihnen die Vorfreude auf Weihnachten erhöhen und die Zeit bis zur Bescherung verkürzen“, erklärt Tamm, der diese Tradition von seinem Bruder in Westfalen übernommen hat. Der 53-Jährige sieht den Geschenke-Baum aber auch als Dankeschön an seine Dorf-Nachbarn. Als der West-Berliner vor Jahren nach Zechin zog, sei er sehr herzlich aufgenommen worden. „Ich fühle mich hier pudelwohl“, meint der Mitarbeiter des Berliner Senats, auf dessen Hilfe die Zechiner auch beim Verfassen von Briefen an Behörden gern zurückgreifen. Das ganze Jahr über ist Tamm, der selbst keine Kinder hat, auf „Schnäppchen“-Suche, um die „Klau-Tanne“ in den zwei Wochen vor Weihnachten täglich mit neuen Überraschungen bestücken zu können: Bausteine und Spielzeugautos für die Jungen, Puppen und Zubehör sowie Modeschmuck für die Mädchen. Selbst seine in Westfalen lebende Mutter hält ständig nach preisgünstigen Angeboten Ausschau. In einem Geschäft in Seelow kennen die Verkäuferinnen den selbstlosen Schenker bereits, legen ihm gern einmal kostengünstige Kleinigkeiten beiseite. Aber: „Die Kinder werden immer mäkeliger, nehmen nicht mehr alles“, hat Tamm beobachtet, der auf einem Zettel darum bittet, „nur für den Eigenbedarf“ zuzulangen. Seine Idee Mission, in der Vorweihnachtszeit auch einmal an andere zu denken, steckt offensichtlich jedoch noch in den Kinderschuhen. Nachahmer oder gar Mitstreiter hat er bisher nicht gefunden. Kein Wunder, meint Tamm: „Die Aktion ist mit einer Menge Arbeit verbunden und geht auch ins Geld.“ Gefreut hat er sich deshalb über den 50-Euro-Schein, den ihm ein ehemaliger Zechiner kürzlich schickte. Auch wenn er stets nach Schnäppchen Ausschau halte, läppere sich eine stattliche Summe zusammen. „Ich weiß gar nicht, ob ich mit meinen Vorräten bis zum 21. Dezember reiche“, bangt er. Was als kleine Überraschung für die Jüngsten gedacht ist, wird von so manchem Erwachsenen schamlos ausgenutzt. Für sie scheint die „Klau-Tanne“ eine billige Geschenkequelle zu sein, um sich selbst den Einkauf zu sparen. Teilweise wird der gesamte Baum von skrupellosen Zeitgenossen mit großen Einkaufstaschen auf einmal leergeräumt „Ich habe meinen Vorgarten nicht dafür bestückt, dass sich gierige Erwachsene die Geschenke für die gesamte Familie zusammenklauen“, ärgert sich der Zechiner. Inzwischen wachen auch Tamms Nachbarn darüber, dass sich niemand maßlos bedient. Seinen Enthusiasmus hat er trotz aller negativen Erfahrungen nicht verloren. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, lautet der Leitspruch des 53-Jährigen. Und vielleicht, so hofft Tamm insgeheim, bewahrt sich so mancher junge Zechiner die Kindheitserinnerung an die „Klau-Tanne“ und führt diese Tradition als Erwachsener selbst einmal weiter.

Bernd Kluge

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