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Von Thorsten Metzner: „Und ich weiß nicht, wer ich bin“
Kerstin Kaiser, die Linke-Spitzenkandidatin, führt einen sentimentalen Wahlkampf – als Sängerin
Stand:
Rathenow - „Ja, die Welt ist aus den Gleisen. Und ich weiß nicht wer ich bin.“
Als Kerstin Kaiser dies mit kräftiger, sonorer Stimme singt, ist es still im Publikum. Die Mienen sind nachdenklich, versonnen. Gut 60 Leute haben sich im „Blauen Saal“ des Kulturhauses Rathenow eingefunden, um die Linke-Spitzenkandidatin zu hören, keine Reden, ihre Lieder. So sieht Kaisers Wahlkampf nämlich aus. „Roter Mohn“ heißt das Programm, das die 49jährige jeden Abend gemeinsam mit ihrem Mann und einstigem Mitbegründer der DDR-Folkband „Wacholder“ Jörg Kokott aufführt. Wahlplakate, Flyer, Broschüren oder gar ein Spruchband der Linken hinter Kaiser auf der Bühne? Nichts davon, nirgendwo, Null. „Weil nichts los ist mit den Linken.“
Wer weiß, die Oppositionsführerin seit 2004 führt zumindest einen ungewöhnlichen Wahlkampf, sehr leise für die zweitstärkste Kraft, die bei der letzten Landtagswahl mit der Kampagne „Hartz IV – Armut per Gesetz“ die Stimmung anheizte, ziemlich intellektuell für die Mark. Kaiser, die nur jeder Vierte kennt, erreicht mit dem „Volkskunstkollektiv“, wie sie einmal scherzt, vor allem die eigene und darüberhinaus eine spezielle, überschaubare Klientel. Sie füllt kleine Säle, immer mit 60, 70 Interessierten, zur Hälfte meist ältere Genossen, aber auch wie in Cottbus Kunstliebhaber, alternative Jugendliche oder in Rathenow schon mal die Frau des CDU-Bürgermeisters, die sich danach begeistert eine CD holt, mit Autogramm natürlich.
Kaiser singt politische Lieder, etwa von Konstantin Wecker, Gerhard Gundermann oder Kurt Demmler, über die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach Frieden. Es klingt wie eine deutsch-deutsche Symbiose aus „Oktoberklub“ (Ost) und Liedermacher (West), melancholische, sentimentale, besinnliche Töne dominieren. Ist das der Wahlkampf einer Linken, die der SPD das Fürchten lehrt?
Eher wirkt alles wie das persönliche Statement einer Frau, die bisher den Ruf einer kühlen Funktionärin hat, in den eigenen Reihen nicht unumstritten ist, die sich etwas öffnet, die auf der Bühne plötzlich menschlicher, weicher, sensibler rüberkommt. Und die vielleicht Vize-Ministerpräsidentin in einer rot-roten Regierung werden könnte, trotz ihrer gebrochenen Biographie? „Denn in diesem Leben wird der Mensch aus Schaden klug.“
Auf Kaiser lastet die Bürde früherer Spitzelei. Als IM „Kathrin“ hatte sie der Stasi im damaligen Leningrad über Lebensgewohnheiten von Kommilitonen berichtet, weshalb sie 1994 das gewonnene Bundestagsmandat zurückgab, weshalb sie auf der Homepage schreibt: „Was ich falsch gemacht habe, wird mich mein Leben lang beschäftigen und quälen. Es wäre möglich gewesen, sich zu verweigern.“
Dieser im Gegensatz zu anderen Linke-Politikern seit langem offene Umgang mit ihrer Vita ist der Grund, weshalb Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) 20 Jahre nach 1989 auch kein Problem mit Kaiser im Kabinett hätte.
Und trotzdem braucht man gut eineinhalb Wochen vor dem 27. September nur einen solchen Abend zu erleben, um zu spüren, dass für Kaiser selbst – da ist sie Realistin und Profi – der Traum von Rot-Rot in Brandenburg in weite Ferne gerückt ist. Erst Recht, seit die Linken nur knapp hinter der SPD liegen, die keinen zu starken Koalitionspartner will. Klar, sie erwähnt die 15 Schlüsselprojekte, die die Linken durchsetzen wollen, Mindestlöhne als Bedingung für öffentliche Aufträge, 15 000 Jobs in einem öffentlichen Beschäftigungssektor, kleinere Kita-Gruppen. Es ist ein linker Minimalkatalog, der in Brandenburg umzusetzen wäre. Aber sie weiß eben auch: „Es liegt an der SPD. Wir haben über so ein Projekt noch nicht gesprochen.“ Womit eigentlich alles gesagt ist. In einem Lied singt Kerstin Kaiser trotzig: „Es kann ja nicht immer so bleiben.“
In Brandenburg vielleicht doch, eine Gewinnerin klingt anders.
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