Landeshauptstadt: Alltägliche Ausgrenzung
Gesprächsrunde zur kritischen Bestandsaufnahme des Rassismus in Potsdam
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Gesprächsrunde zur kritischen Bestandsaufnahme des Rassismus in Potsdam Von Angela Gencarelli Innenstadt - „Meine Nachbarn sind gegen Ausländer. Sie schikanieren mich, wo sie nur können, und hetzten mir die Polizei wegen angeblicher Lärmbelästigung andauernd auf den Hals. Ich kann mich in meiner eignen Wohnung nicht mehr sicher fühlen.“ Mit diesen Worten schilderte Fayez El Mustapha seine Wohnsituation Am Kanal. Er war einer der Teilnehmer der Gesprächsrunde „Potsdam zwischen Offenheit und Ablehnung“ im Kulturzentrum „Al Globe“ anlässlich des Anti-Rassismus-Tages am vergangenen Montag. Über 30 Menschen kamen, um ihre Erfahrungen mit alltäglicher Diskriminierung auszutauschen. Dazu hatte die Ausländerbeauftragte der Stadt, Magdolna Grasnick, eingeladen. Ziel des Abends war eine kritische Bestandsaufnahme des alltäglichen Rassismus in Potsdam. Bei diesem Unterfangen wurde eines ganz deutlich: Viele der Anwesenden hatten ähnliche Erfahrungen wie Fayez El Mustapha gemacht. Die Betroffenen reihten ein erschreckendes Beispiel an ein anderes. Die Palette reichte von Beschimpfungen an Bushaltestellen bis hin zur Benachteiligung und Mobbing am Arbeitsplatz. „Rassismus ist in Potsdam ein Thema für die Betroffenen, für die Öffentlichkeit jedoch nicht“, sagte Magdolna Grasnick. Viele würden nichts von dieser alltäglichen Herabwürdigung der in Potsdam lebenden Ausländer wissen. „Potsdam ist jedoch kein Ausnahmefall, hier ist es nicht anders als in anderen Städten auch“, gab sie zu bedenken. „Über die verschiedensten Formen der verbalen Diskriminierung hinaus gibt es in Potsdam auch vereinzelt Gewalttaten mit rechtsradikalem Hintergrund“, sagte Ole Weidmann vom Verein Opferperspektive, der Opfern von solchen Gewalttaten in Brandenburg neue Zukunftsperspektiven vermitteln will. Das seien zwar einschneidende Erlebnisse in der Biographie, jedoch sei das alltägliche Erleben von Ausgrenzung viel bedeutender. „Gewaltsame Übergriffe sind nur die Spitze des Rassismus.“ Auch über die Bekämpfung von Kriminalität hinaus bestehe enormer Handlungsbedarf. „Fast jeder Ausländer in Potsdam lebt in Angst. Sie können sich nicht ohne Bedenken frei in der Stadt bewegen“, erklärte Ole Weidmann. In diesem Punkt gingen die Meinungen der Anwesenden allerdings auseinander. „Potsdam ist im Vergleich zu anderen Städten in Brandenburg relativ offen. Hier muss man keine Angst haben“, sagte Netti Omorodion, Sozialarbeiterin bei der Flüchtlingsinitiative Brandenburg. Die Iranerin Mehrnoosh Moradian verwies auf eine schleichendere, subtilere Form der Ausgrenzung als offene Beschimpfungen und strukturelle Diskriminierung. „Man fühlt sich wie im Zoo und wird von allen Seiten begutachtet. Dann klopfen sie mir auf die Schulter und haben Mitleid, weil ich aus einem armen Land komme“, schilderte sie. „Mir tut das auf der Seele sehr weh“, sagte sie mit Tränen erstickter Stimme. „Für mich gibt es aber auch Hoffung“, erwiderte eine aus Afrika stammende Frau in die entstandene Stille hinein. Sie schilderte ihre erfreuliche Nachbarschaftsbeziehung, die sie sich durch verbindliche Freundlichkeit aufgebaut habe. „Beim Treppenputzen mussten wir es anfangs immer besser machen als die Deutschen, da die Augen und das Misstrauen auf uns gerichtet waren“, sagte sie. Ebenso wie die Gäste war auch Magdolna Grasnick sichtlich beunruhigt über die Bestandsaufnahme. Für die Betroffenen jedoch waren das keine überraschenden Erkenntnisse. Die Ausländerbeauftragte will sie mit ihren Sorgen nicht alleine lassen. Zuletzt richtete sie das Wort wieder an Fayez El Mustapha. „Ihr Nachbarschaftsverhältnis ärgert mich unwahrscheinlich. Wir werden sehen, wie wir Ihnen helfen können.“
Angela Gencarelli
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