Landeshauptstadt: Asylheim-Talk: Kritik an Stadt und Politik
Weit über 300 Potsdamer diskutierten über geplanten Umzug an den Schlaatz / Rechte Parolen entdeckt
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Am Schlaatz – Die Vorboten waren meterhoch und rot. Rechtsgerichtete Schmierereien, Hakenkreuze, ausländerfeindliche Parolen entdeckten Anwohner am Sonntagmorgen am Schlaatz. Dort, wo die rund 150 Asylbewerber auf Wunsch der Verwaltung ab Juli wohnen sollen. Keine guten Vorzeichen zur gestrigen Bürgerversammlung im Bürgerhaus am Schlaatz, bei der die Anwohner ihre Ansichten zum geplanten Asylbewerberheim sagen sollten.
Das Interesse war riesig. Weit über 300 Personen kamen und ließen anfangs ihren Emotionen und Ängsten freien Lauf: Anstieg der Kriminalität, mehr Gewalt von Asylbewerbern und gegen sie, mehr Dreck und Schmutz, eine Überlastung von Ausländern im Schlaatz und die Angst, dass der Ruf des Stadtteils noch stärker leidet – all das war oft zu hören. Das Podium, mit Sozialbeigeordneter Elona Müller (parteilos), dem Geschäftsführer des Diakonischen Werks Potsdam, Marcel Kankarowitsch, Potsdams Schutzbereichsleiter Polizeidirektor Ralf Marschall, Ausländerbeiratsvorsitzender Hala Kindlberger und dem evangelischen Diakon im Schlaatz, Matthias Stempfle, hatte anfangs große Mühe, den erregten Gemütern beizukommen. Kankarowitsch versuchte, das geplante Heim vorzustellen. „Die Stadt ist verpflichtet, ein Asylbewerberheim vorzuhalten.“ Am Schlaatz würden zwei Personen auf 33 Quadratmeter, drei Personen auf 49 Quadratmetern leben, in Zimmern die „einem sehr einfachen Urlaubsquartier“ entsprächen. „Vierundzwanzig Stunden am Tag ist ein Mitarbeiter der Diakonie vor Ort“, kündigte Kankarowitsch an.
Anwohner warfen der Stadtverwaltung Politik „Lügen“ vor, weil sie erst Ende Januar über den geplanten Umzug des Heims informiert hätten. „Der Buschfunk und Bauarbeiter im einstigen Lehrlingswohnheim hätten bereits im vorigen Jahr vom Asylbewerberheim gesprochen.“ Beigeordnete Müller widersprach, erst am 9. Januar sei die Entscheidung in der Verwaltung zum Schlaatz gefallen. Noch sei der Standort auch nicht endgültig, denn „die Stadtverordneten müssen im Hauptausschuss noch darüber entscheiden“, so Müller. Andererseits machte sie deutlich: „Es gibt aktuelle keine Alternative. Das Diakonische Werk war der einzige Bewerber für den Betrieb des Asylbewerberheims.“ Es sei auch politischer Wille, das Heim nicht mehr am Lerchensteig zu belassen, begründete sie den notwendigen Umzug.
Polizeidirektor Ralf Marschall versuchte, mit Zahlen die Ängste der Anwohner vor mehr Kriminalität zu mindern: „2008 gab es rund 22 000 Straftaten im Stadtgebiet, 16 000 Straftäter konnten ermittelt werden. Davon waren ganze 57 Asylbewerber“, so Potsdams oberster Polizist. Das Gros der Delikte seien Ladendiebstähle und Körperverletzungen gewesen. Gegen die Angst der Anwohner, dass es zu ausländerfeindlichen Straftaten kommen könne, kündigte Marschall Sicherheitskonzepte an. „Wir werden einen eigenen Streifenbezirk für das Asylbewerberheim schaffen, so dass eine Funkstreife ständig in der Nähe ist.“
Letztlich waren es Beiträge wie von Diakon Matthias Stempfle, selbst Schlaatz-Bewohner, die die Schlaatzer beruhigten: „Die Bewohner hier haben bereits einen Großteil der Integrationsarbeit für die gesamte Stadt geleistet“, so Stempfle. Die geäußerten Ängste seien nicht unbedingt Ausdruck von Ausländerfeindlichkeit, sondern Gefühl, Potsdamer zweiter Klasse zu sein. „Daran trägt das bürgerliche Potsdam und auch die Verwaltung schuld.“ Aber Stempfle war sich auch sicher: „Wir kriegen das hin“ mit dem Asylbewerberheim. Dafür gab es mit den meisten Beifall. Überdeutlich machten die Schlaatzer auch, dass sie sich mit ihren Ängsten nicht von Rechten vereinnahmen lassen. Als ein DVU-Vertreter Rederecht bekam und zu einer formulierten Erklärung ansetzte, erhob sich lautstarker Protest.
Darauf setzen augenscheinlich auch die Verantwortlichen. Beigeordnete Müller erklärte, man wolle mit den Anwohnern gemeinsam über Ideen und Konzepte reden, wie das Asylbewerberheim und das Wohngebiet existieren könnten. Diakonie-Chef Kankarowitsch glaubt, „dass 150 Asylbewerber dem Schlaatz und seinen Anwohnern zuzutrauen sind“.
Nicht nur Anwohner, auch die anwesenden Fraktionsvorsitzenden des Stadtparlaments – selbst von der Koalition – äußerten Unverständnis, dass Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) nicht an der Versammlung teilgenommen hatte. Ebenfalls abwesend war Hans-Jürgen-Scharfenberg, Chef der größten Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, der Linkspartei. Kay Grimmer
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