Von Guido Berg: Ein Schildbürgerstreich
Die Glienicker Brücke öffnete am 10. 12. 1989, 18 Uhr – was nicht jedem klar war
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Berliner Vorstadt - Es war der 10. November 1989, kurz vor der großen Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg, auf der Willi Brandt sagen wird: „Berlin wird leben und die Mauer wird fallen.“ Genaugenommen war sie natürlich schon gefallen, am Tag zuvor. Aber nicht an jeder Stelle. Noch hatte sie nur wenige Löcher und der Druck auf das Brandenburger Tor war noch groß. Darum übergab kurz vor der Kundgebung ein Beauftragter der DDR im Schöneberger Rathaus – damals Sitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin – eine Liste mit weiteren Grenzübergangsstellen, die kurzfristig geöffnet werden sollen. Auf Platz eins stand, wie Hans-Hermann Hertle vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) berichtet, die Glienicker Brücke. Vorgesehene Öffnungszeit: 18 Uhr.
So war es dann auch, wie es vielen Potsdamern und Berlinern unvergesslich bleiben wird. Erstmals seit Jahrzehnten oder überhaupt zum ersten Mal über die Glienicker Brücke – Wahnsinn!
Um so mehr verstört es ZZF-Forscher Hertle, dass nun vor der Glienicker Brücke auf Potsdamer Seite ein braunes Schild steht. Darauf der Text: „Hier waren Deutschland und Europa bis zum 9. November 1989 um 20 Uhr geteilt.“
„Um 20 Uhr war gar nichts“, sagt Hertel, „bis auf die Tagesschau“. Die berühmte Pressekonferenz mit Günter Schabowski endete um 19.01 Uhr. Für die Zeit zwischen 20 und 20.15 Uhr liegt ein Lagebericht der Ostberliner Volkspolizei vor, wonach im Grenzvorfeld alles weitgehend ruhig ist. Um 20 Uhr herrscht an der innerdeutschen Grenze noch „tote Hose“, wie Hertle sagt. Das braune Schild an der Glienicker Brücke sei daher „ein erinnerungspolitischer Schildbürgerstreich“.
Bei der Stadt Potsdam war man gestern durchaus froh, beim Aufstellen des Schildes lediglich „Amtshilfe“ geleistet zu haben. „Wir haben es aufgestellt“, so Uwe Salomon, der Text und das Schild stammten jedoch vom Landesbetrieb für Straßenwesen. Freilich sei der Stadt der Fehler auch aufgefallen; schriftlich habe sie den Landesbetrieb darüber informiert. Ausgangspunkt der Beschilderung ist die sogenannte „Brocken-Erklärung“, eine Bund- Länder-Aktion zur Erinnerung an den Mauerfall. An vielen Grenzübergangsstellen sollen die Gedenktafeln Vorbeifahrende daran erinnern, dass an dieser Stelle weiterzufahren keine Selbstverständlichkeit ist. Die Schilder informieren über den Tag und die Uhrzeit, wann die Grenze am jeweiligen Ort das erste Mal passierbar war.
Im Landesbetrieb steht indes „alles in den Startlöchern“, um den Schildertext mit der geschichtlichen Wahrheit in Einklang zu bringen. Mit Folie werde der falsche Text überklebt, so Vorstandsmitglied Brigitte Stehrl. 10. November 1989, 18 Uhr werde dann zu lesen sein. Allerdings muss die korrekte Vergangenheitsbewältigung noch warten, „bis es wärmer wird“. Vorher klebt die Folie nicht.
ZZF-Forscher Hertle findet indes, das Schild verdecke den Blick auf die Gedenkstele „Nike“ und sei „entbehrlich“.
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