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WAS IST MUS-E?: Kinderknäuel in einer Stadt von Pappe

MUS-E-Stunden an der Priesterweg-Grundschule: Erste Kunstprojekte der Yehudi Menuhin Stiftung in Potsdam

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Die vier Buchstaben bedeuteten ursprünglich „music for schools in europe“. Daraus entwickelte sich ein Programm für Schulen, das über die kontinuierliche Arbeit mit Künstlern die Kreativität und soziale Kompetenz Heranwachsender fördern soll. Das von der Yehudi Menuhin Stiftung organisierte, mit öffentlichen Mitteln und Spenden finanzierte Programm wird derzeit bundesweit an 166 Schulen mit 263 Künstlern realisiert. Durch die Integration der Künstler in den Unterricht und den damit verbundenen Rollen- und Perspektivwechsel der Lehrer, kann sich insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen die Schulkultur positiv und nachhaltig verändern. Weiteres im Internet: www.ymsd.de. ahc

Wenn Kinder sich verknoten, die Köpfe zusammenstecken und die Arme verhaken, dann lässt das auf eine Rangelei schließen. Oder auf einen sportlichen Wettkampf. Für die Zweitklässler der Drewitzer Priesterweg-Grundschule allerdings hat es eine völlig andere Bedeutung. Für sie ist es der Anfang von Kunst.

„Wir sind gerade in der Findungsphase“, erklärt Choreografin Annett Scholwin die bunten Knäuel von Kindern. Seit wenigen Wochen arbeitet die Potsdamer Künstlerin mit den Mädchen und Jungen in einem MUS-E-Projekt der Yehudi Menuhin Stiftung. Eine quicklebendige Klasse sei das, der natürliche Bewegungsdrang noch nicht unterdrückt, sagt Annett Scholwin, die in ihren Tanzprojekten mit Schülern stets ein offenes Konzept verfolgt: „Jedes Kind hat sein eigenes Tempo, das will ich nicht ändern. Gerade wenn man die Kinder so akzeptiert, wie sie sind, lässt sich ihre Kreativität am ehesten ausschöpfen.“

Die erfahrene Choreografin und Tanzpädagogin hat dies schon in vielen Workshops erlebt, unter anderem an der Potsdamer Montessori-Schule. Nun arbeitet sie im Auftrag der Menuhin-Stiftung zunächst für ein Jahr an der PriesterwegSchule. Zwei Stunden pro Woche besucht sie „ihre“ zweite Klasse, um sich mit den Mädchen und Jungen ohne Zeit- und Notendruck zu bewegen, zu verwickeln und zu verknoten – und sich schließlich völlig frei zu tanzen. Immer unterstützend dabei: die Lehrerin der Klasse, die in den MUS-E-Stunden die Möglichkeit hat, ihre Schüler einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen und deren verborgene Talente zu entdecken.

Aufs Lernen kommt es dabei erst in zweiter Linie an. MUS-E ist ein in ganz Europa verbreitetes Programm, das Kindern und Jugendlichen helfen soll, sich mit den Mitteln von Malerei, Musik, Tanz und Theater künstlerisch auszudrücken und auf diese Weise ihre Persönlichkeit und soziale Kompetenz zu stärken. Das Programm kann bis zu drei Jahre gefördert werden und soll nachhaltig zur Entwicklung der Schule beitragen.

Daran hat auch das brandenburgische Bildungsministerium ein Interesse, das das erste MUS-E Projekt an einer Potsdamer Schule mit rund 8000 Euro unterstützt (PNN berichteten). Staatssekretär Burkhard Jungkamp hatte unlängst den Zuwendungsbescheid an Schulleiterin Elvira Eichelbaum übergeben und sich angeschaut, was die Zweitklässler in ihren ersten MUS-E-Stunden vollbracht haben. Als ehemaliger Mathe- und Deutschlehrer habe er oft beobachten können, dass musische Schüler auch in anderen Fächern von ihrer Kreativität profitieren, erzählte er bei seinem Besuch. Zudem halte er das MUS-E-Projekt für einen wichtigen Baustein der Priesterweg-Schule auf ihrem Weg, eine Stadtteilschule zu werden, die dann auch künstlerisch weit in das Wohngebiet Drewitz ausstrahle.

Wie sich die Kinder das Leben und Lernen in ihrem Stadtteil vorstellen, das zeigen sie in einem zweiten MUS-E Projekt, für das die Bildhauerin Susanne Weck gewonnen wurde. Aus Schuhkartons und anderen papiernen Resten baut die Berliner Künstlerin mit ihren kleinen „Architekten“ eine Stadt aus Pappe. Nicht Grau in Grau, sondern kunterbunt. Die erste Straßenzeile steht bereits. Weitere werden folgen. Und sicher auch ein Marktplatz mit Rathaus und Kirche, viele Parks und Spielräume, dazu Geschäfte, Gaststätten und Galerien und so manches Gebäude, dessen nähere Bestimmung die Kinder erst erfinden werden. Ihre Fantasie kennt keine Grenzen, nur brauchen sie inzwischen mehr Platz, um sich zu entfalten, sagt Susanne Weck. So, wie in ihrem eigenen Atelier, will sie auch in der Schule arbeiten: in den Raum hinein. „Wir suchen deshalb einen Ort, an dem alle Bauteile stehen bleiben können und unsere Stadt allmählich wachsen kann“, wünscht sich die Bildhauerin. „Ich will, dass die Kinder ihren Blick weiten, alle Möglichkeiten und dabei sich selbst entdecken.“

Nichts anderes hatte Geigenvirtuose Yehudi Menuhin beabsichtigt, als er 1999 über seine Stiftung das MUS-E-Programm auch in Deutschland verbreitete. „Musik und Tanz kommen zuerst“, sagte er einmal, „Mathematik und Sprache folgen später automatisch.“

Antje Horn-Conrad

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