Landeshauptstadt: „Leichten Nieselregen mögen wir sehr“
Gretel Schulze und Dagmar Neugebauer über 30 Jahre Kabarett Obelisk
Stand:
In diesem Jahr begeht das Kabarett Obelisk sein 30-jähriges Jubiläum. Ein Grund zu feiern?
Gretel Schulze: Wir finden: Ja! So lange muss sich eine solche Institution erst einmal halten. Dazu noch in einer Zeit gravierender politischer Veränderungen.
Sie sprechen die Wende von 1989 an. Welche Auswirkungen hatte diese auf das Kabarett Obelisk?
Dagmar Neugebauer: Vor 1989 gab es keine Vorstellung, in der auch nur ein Platz frei war. Wir hatten volle Auftragsbücher, vor allem durch Betriebe, die bis zu zwei Jahren auf Eintrittskarten warten mussten. Als die Wende kam, dachten wir, arbeiten wir die erst einmal ab. Doch wir konnten nicht ahnen, dass es diese Betriebe schon bald nicht mehr geben würde.
Schulze: Ein Jahr später kam dann der Hammer. Anfang 1990 erhielten wir die Mitteilung, dass wir keine Landeseinrichtung mehr sind und dass wir zum 30. Juni aufgelöst werden sollen.
Wie reagierten Sie darauf?
Neugebauer: Zuerst waren wir völlig kopflos und das als Kabarettisten. Aber weil wir die Abwicklung nicht wollten, haben wir eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet. Das war schnell machbar aber auch sehr risikoreich, weil wir so mit allem haftbar wurden. Dann waren wir eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Schulze: Dann eine GmbH und CoKg.
Neugebauer: Und seit 1994 sind wir eine gemeinnütziger Verein.
Aber die Wende hatte doch nicht nur negative Auswirkungen.
Schulze: Kurz nach der Wende wurden wir noch sehr gut durch das Land und die Stadt gefördert. Da waren wir neun Kabarettisten in zwei Ensembles.
Neugebauer: Da waren wir insgesamt 36 Leute hier. Wir haben Kinder- und Straßentheater gemacht, hatten eine Tourneeleiter und sogar einen Garderobier.
Wie lange währten diese paradiesischen Zustände?
Neugebauer: Bis 1993. Dann ging die Förderung immer weiter runter.
Wie sieht es heute aus?
Neugebauer: Vom Land bekommen wir seit dem Jahr 2000 kein Geld mehr. Nur zum 30. Jubiläum wurde uns eine Sonderzuwendung von 3000 Euro spendiert.
Und die Förderung durch die Stadt?
Neugebauer: Von 1991 bis 1993 hatten wir mal 215 000 Euro pro Jahr. Jetzt sind wir nur noch sieben Kollegen und bekommen einen Betriebskostenzuschuss für das ganze Haus in der Charlottenstraße 31 in Höhe von 53 500 Euro gezahlt. Dem Kabarett stehen davon nur 34 775 Euro für den Hof, die Büros und den Saal zu. Für unser Jubiläumsprogramm hatten wir einen Antrag auf kleinteilige Projektförderung bei der Stadt gestellt. Doch der wurde abgelehnt. So bleibt es bei den 3000 Euro vom Land.
Gibt es keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten?
Neugebauer: Wir haben einen sehr guten Kontakt zur Energie und Wasser Potsdam GmbH, kurz EWP, und die unterstützen unser Jubiläum mit 5000 Euro.
Wie wird da überhaupt die künstlerische Arbeit finanziert?
Schulze: Dafür gibt es keine Förderung, die finanzieren wir selbst. Was wir für unsere Programme ausgeben, müssen wir durch Einnahmen decken. Und wenn die Sonne scheint, das mögen wir gar nicht. Denn dann gehen die Leute weniger ins Kabarett. Der Kleingärtner und der Biergartengänger – die natürlichen Feinde des Kabarettisten. Der Sommer ist für uns eine schwierige Zeit. Darum mögen wir leichten Nieselregen so sehr.
Gibt es keine Alternativen wie spezielle Sommerprogramme?
Schulze: Aber ja, bevor wir vor zehn Jahren in die Charlottenstraße 31 gezogen sind, haben wir am alten Standort in der Schopenhauerstraße 1994 mit einer Sommerbespielung begonnen. Damals war zur Sommerzeit in Potsdam weniger los. Das Theater hatte Ferien, andere die Marktlücke noch nicht erkannt, freie Bahn für uns. Es lief richtig gut und wir haben das bis zum Jahr 2000 durchgezogen. Dann nahmen die Angebote in der Stadt immer mehr zu, vor allem auch kostenlose Großveranstaltungen. Unsere Arbeit wurde schwerer.
Neugebauer: Die Sommerzeit können wir nur überbrücken durch ein super Programm und einen Kredit über 50 000 Euro bei der Bank. In den letzten Monaten des Jahres zahlen wir dann den Kredit zurück. Ein schöner Kreislauf.
Schulze: Wenn es uns doch einmal gelingen würde, den Überschuss, den wir erwirtschaften, nicht für Kreditraten aufwenden zu müssen, sondern fürs nächste Jahr nutzen könnte, wären wir aus dem Schneider.
Warum machen Sie eigentlich keine Sommerpause wie das Hans Otto Theater?
Schulze: Weil wir uns das nicht leisten können. Wir müssen präsent sein, in dem wir geöffnet haben, denn wer heute richtig gut platziert für sich werben will, muss präsent sein oder sehr viel Geld ausgeben können. Geld haben wir nicht, aber Idealismus und so sind wir Kabarettisten das Aushängeschild.
Was erwirtschaftet das Kabarett Obelisk durch die Einnahmen?
Neugebauer: 280 000 bis 310 000 Euro im Jahr. Das sind etwa 280 eigene Vorstellungen und eine Auslastung zwischen 60 und 70 Prozent. Davon müssen wir die Gehälter und die künstlerischen Produktionskosten, kurz und gut, den gesamten Hausbetrieb bezahlen.
Sind das nicht kalkulierbare Kosten?
Schulze: So fern man die Preissteigerungen bei Strom und den Heizkosten einkalkulieren kann. Ein anderes Problem sind unsere Stühle. Sehr schöne Stühle, bei denen gleich zwei Monate nach Garantieablauf Lehnen eingerissen sind. Wir haben die Lehnen reparieren lassen, jetzt reißen die Stühle am Sitz ein. Nun überlegen wir, woher wir das Geld bekommen, mit dem wir zwar nicht alle 192 Stühle, aber die am stärksten beschädigten reparieren lassen können.
Diese Stühle gehören Ihnen doch gar nicht, die wurden an Förderer und Freunde des Kabaretts verkauft.
Neugebauer: Als das Gebäude in der Charlottenstraße 31 für unser Kabarett umgebaut wurde, verlangte der Sanierungsträger der Stadt von uns einen Eigenanteil von 100 000 Euro. Da war dieses Geld aber nicht hatten, haben wir die Stühle symbolisch verkauft und das Geld an den Sanierungsträger dann weitergegeben.
Schulze: Als wir die Lehnen reparieren mussten, haben uns die Eigentümer der Stühle, deren Name auf den Lehnen stehen, unterstützt. Wir haben uns natürlich auch an den Sanierungsträger gewandt, aber der saniert keine Stühle.
Das ist ja selbst fast schon Kabarett. Davon abgesehen, erreicht man mit Kabarett heute noch die Menschen?
Schulze: Die Leute sind in der DDR ins Kabarett gegangen, weil hier der Dampf abgelassen wurde, der sich in diesem Staat angestaut hat, aber nicht offen abgelassen werden konnte. Wir waren die „Dampfpfeifen des kommunistischen Terrors“, wie wir es scherzhaft auf der Bühne sagen. Es ging um das Zwischen-den-Zeilen, Pausen waren oft wichtiger als das Gesprochene. Nach der Wende, als wir dachten, dass man jetzt bestimmte Dinge viel direkter und frontaler ansprechen kann, war der Reiz natürlich nicht mehr gegeben.
Neugebauer: Heute darf man alles sagen und es interessiert keinen mehr.
Schulze: Klar kann man über einen Witz, eine Pointe nur lachen, wenn man die Hintergründe kennt. Also liebes Publikum, je mehr man über Politik weiß, umso lustiger sind unsere Programme.
Spiegelt sich da auch die viel zitierte Politikverdrossenheit wider?
Schulze: Ja, die Leute haben es satt. Es fällt ihnen schwer, zu glauben, dass man über Politik noch lachen kann. Wenn sie aber erst einmal da sind, beweisen wir Ihnen das Gegenteil und sie haben garantiert Spaß.
Ist das Interesse am politischen Kabarett vielleicht doch abhanden gekommen?
Schulze: Nein, es muss nur immer wieder belebt und erlebt werden.
Das Gespräch führte Dirk Becker
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