Landeshauptstadt: ?Nur die Kinder waren nett?
Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund leben im Potsdamer Stadtteil Am Schlaatz. Insbesondere zwischen Schwarzen und Deutschen gibt es immer wieder Konflikte.
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Am Schlaatz - Gerade einmal zwei Wochen ist es her, dass ein deutscher Potsdamer im Wohngebiet am Schlaatz eine Gruppe von Nigerianern mit der Axt bedroht hat. Der Mann hatte sich nach eigenen Angaben durch den L?rm auf der Stra?e beim Fernsehen gest?rt gef?hlt. W?hrend der Vorfall bei vielen Deutschen schon wieder in Vergessenheit ger?t, hat er bei den hier lebenden Schwarz- Afrikanern wie Grace E. die Angst vor rassistischen ?bergriffen gesch?rt.
Die Nigerianerin war ebenfalls an der Auseinandersetzung beteiligt. Sie ist vor vier Jahren aus Nigeria in das Plattenbaugebiet im Potsdamer S?den gekommen. Im Gegensatz zu vielen Landsleuten spricht und versteht sie gut Deutsch. Der Mann mit der Axt habe geschrien, dass sich Ausl?nder hier mucksm?uschenstill verhalten sollten. Und dass er sie schon lehren werde, wie man sich in Deutschland benimmt, sagt sie.
Die Heile-Welt-Stra?ennamen wie Am Schilfhof und Am Biberkiez t?uschen nicht dar?ber hinweg, dass am Schlaatz einiges im Argen liegt. So sind hier nach Angaben des Fachbereichs f?r Statistik der Stadt Potsdam knapp 19 Prozent der Menschen im erwerbsf?higen Alter arbeitslos ? fast doppelt so viele wie im Potsdamer Durchschnitt. Wenn die deutschen Schlaatzer in den Kiezkneipen ?ber Hartz IV diskutieren, sind altbekannte Stammtischparolen zu h?ren. Es gebe zu viele Ausl?nder, die den Deutschen die Arbeit wegnehmen oder auf deren Kosten von der St?tze leben.
Nach Angaben der Stadt liegt der offizielle Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund am Schlaatz bei gut neun Prozent. Das ist zwar mehr, als der Potsdamer Durchschnitt von knapp f?nf Prozent, bleibt aber, gemessen an der Gesamtbev?lkerung, eine klare Minderheit. W?hrend in dem Viertel 8158 deutsche Staatsb?rger leben, sind es 840 Ausl?nder mit Hauptwohnsitz Am Schlaatz. Davon gerade einmal 75 Afrikaner. Dennoch geh?rt Fremdenfeindlichkeit zum Alltag, sagt Grace E. ?Es kommt vor, dass wir offen als Nigger beschimpft werden?, sagt sie. Aber oft sei die Ablehnung auch ohne Worte deutlich sp?rbar. ?Wenn ich mit meiner Familie in den Fahrstuhl steige, r?cken die Leute in die ?u?erste Ecke?, erz?hlt sie.
Laut Kriminalit?tsstatistik gab es im vergangenen Jahr in Brandenburg 97 politisch motivierte Gewalttaten gegen Nicht-Deutsche, acht davon in Potsdam. Die Aufkl?rungsquote liegt dabei laut Innenministerium bei ?ber 90 Prozent. Jedoch sagt die Statistik nicht die ganze Wahrheit. So wird der Mann mit der Axt zum Beispiel nicht davon erfasst, weil er bei der polizeilichen Vernehmung gesagt hat, die Axt habe nur der Selbstverteidigung dienen sollen. Ein Rassist sei er nicht, beteuerte er gegen?ber den Beamten, schlie?lich habe er selbst ausl?ndische Freunde.
Doch die Kneipengespr?che am Schlaatz zeigen, dass f?r viele deutsche Anwohner Ausl?nder nicht gleich Ausl?nder ist. ?Mit Russen oder Polen gibt es so gut wie nie Probleme?, sagt Fred G., der seit 30 Jahren am Schlaatz lebt. Aber in der letzten Ausgabe der Gewoba-Zeitung habe er gelesen, dass am Schlaatz mehr als 60 verschiedene Nationalit?ten leben. Besonders durch die enge Bebauung seien kulturelle Konflikte programmiert, so der Alt-Schlaatzer. ?Das Schlafzimmer von dem einen Haus geht zur gleichen Seite raus, wie das Wohnzimmer vom Haus gegen?ber?, beschreibt er. ?Wenn die einen schlafen und die andern feiern wollen, gibt es leicht Zoff.? Besonders schwierig, sagen deutsche Schlaatzer, sei das Zusammenleben mit T?rken und Afrikanern. ?Wenn in einer 60-Quadratmeter-Wohnung jeden dritten Tag 30 Leute zusammenkommen, macht das L?rm, dazu kommen noch die vielen Ger?che vom Kochen?, so Fred G. Viele Deutsche w?rden sich dadurch bel?stigt f?hlen. Das habe aber nichts mit Ausl?nderfeindlichkeit zu tun, wehrt er ab. ?Solange sich jemand anpasst, spielt es f?r mich keine Rolle, woher er kommt oder welche Hautfarbe er hat?, sagt Fred G. und erntet in der Kneipe zustimmendes Gemurmel.
Grace E. wei?, dass der L?rm ein ernst zu nehmendes nachbarschaftliches Problem darstellt. ?Wir sind wirklich laut, wenn wir feiern?, gibt sie zu. ?Aber seit uns eine Nachbarin den Tipp gegeben hat, vorher einen Zettel im Hausflur anzubringen, hat sich die Situation etwas entspannt.? Die gleiche Nachbarin habe auch einmal ?l vorbei gebracht, weil die T?ren gequietscht haben, erz?hlt Grace E. Sie habe das nett gefunden und die T?ren ge?lt. ?Wenn Nachbarn aber wie wild mit dem Besen gegen die Heizung oder die Decke klopfen, reagieren wir nicht?, sagt sie.
Alida Babel, Mitgr?nderin des Potsdamer Vereins Black Flowers f?r Migrantinnen und Afrodeutsche, hat die Erfahrung gemacht, dass Deutsche bei ihren schwarzen Nachbarn besonders genau hinschauen. ?Als ich vor sieben Jahren nach Potsdam gezogen bin, hat man mir auch gezeigt, wie ich den Hausflur richtig zu wischen habe.? Doch statt sich davon aus der Ruhe bringen zu lassen, habe sie ihre Nachbarn beharrlich-freundlich gegr??t, bis die irgendwann zur?ck gegr??t haben, sagt Babel. Heute f?hle sie sich in Potsdam wohl und akzeptiert.
Mit seiner Geduld am Ende ist hingegen Wara Julius aus Kamerun. Der 29-J?hrige ist zum Studium nach Deutschland gekommen, bei der Einreise musste er nachweisen, dass er es selbst finanzieren kann. Nachdem er in Brandenburg/ Havel von Skinheads attackiert worden sei, habe er gehofft, in der Landeshauptstadt besser gesch?tzt zu sein. Doch wie sich herausstellte, war auch der Potsdamer Schlaatz nicht die beste Wohnortwahl. ?Nur die Kinder waren nett, haben gefragt, woher ich komme?, sagt Julius Wara.
Unerfreuliche Anekdoten wei? er viele zu berichten. So sei er kurz nach der Fu?ballweltmeisterschaft mit einem deutschen Fan-Trikot durch den Schlaatz gelaufen. Ein Radfahrer habe neben ihm gestoppt und gesagt: Jemand wie Du hat gar kein Recht, unser Trikot zu tragen. Julius Wara hat darauf nichts erwidert, aber das T-Shirt hat er sp?ter als Spende nach Kamerun geschickt. Demn?chst verl?sst er Potsdam in Richtung der alten Bundesl?nder. Man habe ihm gesagt, dort seien die Menschen toleranter.
Besser kennenlernen k?nnen sich Deutsche und Migranten unter anderem im Verein ?Black Flowers? (ab September in der Geschwister-Scholl-Str. 97 ) oder im ?Interkulturellen Nachbarschaftstreff? am Schlaatz (Milanhorst 9).
Juliane Schoenherr
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