
© Andreas Klaer/Repro: PNN
Von Erhart Hohenstein: Schmückende Brosche an kahler Wand
In den Jahren 1968/69 wurde an der Ecke Yorckstraße das Haus des Reisens gebaut – ein Zeitzeugenbericht
Stand:
Innenstadt - Ab Mitte 1968 trafen sich Journalisten der damals vier in Potsdam herausgegebenen Lokalzeitungen und der Bezirkskorrespondent des SED-Zentralorgans „Neues Deutschland“ einmal wöchentlich im Marstall zum Baurapport. Im letzten Rest des Stadtschlosses, der später zum Filmmuseum der DDR ausgebaut wurde, saß der Aufbaustab für das Stadtzentrum. Er war gebildet worden, nachdem das SED-Politbüro am 16. April 1968 den „beschleunigten Aufbau des Potsdamer Stadtzentrums“ beschlossen hatte. Die Stadtverordnetenversammlung folgte einen Monat später diesem Beschluss.
Der überschritt allerdings bei weitem die wirtschaftlichen Möglichkeiten der DDR und Potsdams. Eine Kombination Theater und Stadthalle wurde auf dem Alten Markt geplant, am Standort der Garnisonkirche ein Rechenzentrum, das Interhotel am Lustgarten, auf dem Brauhausberg die Schwimmhalle, Wohnungen und Studenteninternate in der Wilhelm-Külz- Straße (Breite Straße), das Interhotel am Lustgarten, auf dem ehemaligen Platz des Schauspielhauses eine Gleichrichterstation. Die Verrohrung des Stadtkanals begann. Als krönender Höhepunkt sollte ein Karl-Liebknecht-Forum an der Breiten Straße errichtet werden. Schließlich gehörte zu den Vorhaben auch die Eckbebauung Yorck- und Friedrich-Ebert-Straße – an der Südseite mit einem Autosalon und 33 Wohnungen, an der Nordseite mit dem „Haus des Reisens“.
Die größten Vorhaben wurden schließlich nach einer 1970 von Stadtarchitekt Werner Berg reduzierten Konzeption hinausgeschoben, das Haus des Reisens aber gebaut. Von der SED-Kreisleitung angetrieben, setzte der Aufbaustab alles daran, das 30 Meter hohe Hochhaus bis zum 20. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1969 fertigzustellen. Dazu durfte die Presse sogar Kritik an rückständigen Baufirmen, ja selbst am damaligen Stadtbaurat äußern. Und so setzte ich in der wöchentlich erscheinenden Rubrik „Blickpunkt Stadtzentrum“ nach Baustellenbesuchen die Klagen des zuständigen Bauleiters Horst Martin vom VEB Baureparaturen um. Der durch den verspäteten Eingang der Projektunterlagen um sechs Wochen verzögerte Baubeginn lasse sich nicht so leicht ausgleichen, erklärte mir Martin an einem zugig-feuchten Novembertag des Jahres 1968 auf den Schalbrettern. Dennoch sei „Baurep“ bestrebt, „bis zum Jahresende das Betonieren von Keller-, Erd- und erstem Obergeschoss zu beenden, um Montagefreiheit für den Kran zu schaffen, der dann noch sechs Stockwerke mit Wohnungen aufsetzt“.
Kosten- und zeitaufwendig müsse das erste Obergeschoss in herkömmlicher Bauweise aufgemauert werden, beklagte Martin. Dies sei angesichts der speziellen räumlichen Anforderungen der Dispatcherzentrale der Verkehrsbetriebe erforderlich, die hier eingerichtet werden sollte. Dann bekam die Materialwirtschaft des Rates der Stadt einen auf die Mütze, weil sie dem Stahnsdorfer Tischlermeister Beyer das für Reisebürohochaus und Autosalon vorgesehene „Kontingent von 42 Kubikmeter Nadelschnittholz und 18 Kubikmeter Spanplatten“ nicht geliefert hatte. Doch auch das Handwerk als bevorzugtes Leserpublikum der „Neuesten Nachrichten“ blieb nicht ungeschoren. Die Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) Stuck und Betonwerkstein hatte kurzfristig drei Stukkateure von der Baustelle abgezogen – das ging natürlich nicht. Lob dagegen der PGH Innenausbau, die außerhalb des Volkswirtschaftsplans kurzfristig die Möbel für das Reisebüro im Erdgeschoss einbaute.
Öffentlich geführt wurde auch die Diskussion um die Metallplastik „Flugschiff“ für die Fassade des Neubaus. Der Potsdamer Maler Peter Rohn hatte ein fantasievolles Kunstwerk geschaffen, bei dessen Anblick der Betrachter von weltweiten Flug- und Schiffreisen, ja Starts in den Weltraum träumen konnte. Nicht nur weil dies DDR- Bürgern versagt blieb, entsprach das Flugschiff keinesfalls „sozialistischem Realismus“. In einem am 19. Juli 1969 in den PNN veröffentlichten Gespräch erteilte Rohn einem „aus gebogenen Leuchtstoffröhren bestehendem Flugzeug“ oder dem Bildnis „eines bulgarischen Mädchens mit Sonne und Weintrauben“ eine sarkastische Absage. „Kunst ist die selbständige Suche nach Möglichkeiten, ist Gleichnis des Lebens, aber nicht das Leben selbst“, erklärte er. „ Eine echte Rakete hängt man nicht an ein Gebäude.“ Er verstehe das „Flugschiff“ als „eine Art schmückende Brosche an der kahlen Höhe der Wand“.
Diese „Brosche“ milderte den Anblick des nüchternen Kubus, der eins der schönsten Barockhäuser Potsdams „ersetzte“. Mit seinem reichen Fassadenschmuck war es 1783/84 von Georg Christian Unger für die Königlich Preußische Posthalterei errichtet worden. Am Kriegende 1945 wurde es schwer beschädigt. Im Frühjahr 1958 beschloss die Stadtverordnetenversammlung den Abriss der Ruine. Vergeblich setzte sich u.a. der frühere Baustadtrat Stützel (CDU) in einem Leserbrief für den Erhalt der Alten Post ein und schlug vor, das Gebäude zu einem „Haus der Frau“ auszubauen.
Als das Reisebürohochaus stand, bildete es wie andere Hochhäuser einen Kontrapunkt zu der in großen Teilen noch erhaltenen Barock- und klassizistischen Architektur. Damit wollte die SED ein Zeichen für das neu entstehende ,,sozialistische“ Stadtzentrum setzen, das an die Stelle des „preußischen“ treten sollte. Diesem Standpunkt folgen heute die Linke, die durch die Bauausschussvorsitzende Anita Tack den Erhalt des Hochhauses als „Stadtbild prägendes Gebäude“ fordert, und die Fraktion „Die Andere“, die in ihm „einen bewussten Kontrapunkt zur barocken Struktur der Umgebung“ sieht, von dem ein „Geist des Optimismus und der Zukunftszugewandtheit“ ausgehe. Indes ist der Abriss genehmigt, an Konzepten für eine maßstäbliche Bebauung des Eckgrundstücks wird gearbeitet.
Wie vorgesehen war das Haus des Reisens pünktlich zum 20. Jahrestag der DDR eingeweiht worden, auch wenn die Dispatcherzentrale noch leer stand und die Wohnungen nicht bezugsfertig waren. Bei solchen Anlässen, schlug später der für DDR-Verhältnisse reichlich freche Stadtbaurat Gerhard Bade (SED) vor, sollte als Festmusik Beethovens „Unvollendete“ gespielt werden. Mein Bericht über die Einweihung blieb allerdings ungedruckt. Die Ausgabe nach den Feiertagen quoll von den Reden des damaligen SED- Chefs Walter Ulbricht und der bezirklichen SED-Größen über. Da war nicht mal für eine Zehn-Zeilen-Meldung zum Haus des Reisens Platz.
Erhart Hohenstein
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