Landeshauptstadt: „Wir sind uns unserer Pflicht bewusst“
Mit einem Gedenkgottesdienst zum 20. Juli 1944 wurde das Nagelkreuz der Versöhnung an die Stiftung Garnisonkirche überreicht
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Mit einem Gedenkgottesdienst zum 20. Juli 1944 wurde das Nagelkreuz der Versöhnung an die Stiftung Garnisonkirche überreicht „Das gehört dazu“, sagt der Mann auf dem Podium, während auf der Straße ein Feuerwehrwagen mit Sirene vorbei fährt. Wohl noch ein Dutzend Mal wird der Gedenkgottesdienst danach unterbrochen – den Anwesenden ungewollt, aber nachhaltig demonstrierend, dass auch in Potsdam die Welt nicht friedfertig, freudvoll ist. Der Mann auf der kleinen improvisierten Kirchenbühne ist Paul Oestreicher, ehemaliger Leiter des Versöhnungszentrums von Coventry. Er ist gekommen, um eine Stiftung, die es offiziell noch gar nicht gibt, in die Gemeinschaft von weltweit über 200 Nagelkreuzzentren aufzunehmen. Der Tag ist mit Bedacht gewählt, sowohl Superintendent Bertram Althausen wie auch Ministerpräsident Matthias Platzeck verweisen auf die Verbindung der Verschwörer des 20. Juli 1944 zur Geschichte der Garnisonkirche, deren Ruine 1968 gesprengt wurde – als vermeintliches Symbol von Preußentum und Militarismus. Am Ort der Kirche rauscht der abendliche Straßenverkehr, steht das Landesamt für Statistik, Untermieter ist ein Fahrradladen. Zwischen dem Schaufenster des Ladens und einem Studentenwohnheim findet der erste Gottesdienst der Stiftung Garnisonkirche statt, die im gewählten Namen einen Zusatz trägt: Internationales Versöhnungszentrum. Die Aufnahme der Stiftung in die Nagelkreuzgemeinde an diesem Ort und diesem Tag hat für Platzeck symbolische Bedeutung. Denn sie bekunde allen Kritikern des Wiederaufbaus, „dass Versöhnung und Frieden die zentralen Leitgedanken“ der Stiftungsarbeit sein würden. Bei allen Irrtümern und Zaudern, allen Verstrickungen der Offiziere des Widerstands in das Naziregime – Althausen weist auf ihr Vermächtnis hin: „Verantwortung übernehmen für Demokratie und Versöhnung“. Eine große Aufgabe, wie Althausen betont: „Angesichts des 20. Juli 1944 befallen uns Angst und Zweifel: Wie wach sind wir angesichts von Krieg und Menschenverachtung in der Welt?“ Und er fragt: „Haben wir den Mut zur Versöhnung?“ Die bejahende Antwort ist die Übergabe des Nagelkreuzes an diesem Abend, die, so Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz, „demütig und dankbar“ angenommen werde. Und er fügt sogleich hinzu: „Wir sind uns unserer Pflicht bewusst.“ In der wiedererrichteten Garnisonkirche soll der christliche Versöhnungsgedanke in die Tat umgesetzt werden, durch, so Althausen, „Gespräche, Aktionen, Kriseninterventionen, Seminare – Beten.“ Die Gedenkwoche zur Erinnerung an den Widerstand des 20. Juli 1944 sei bereits jetzt „Versöhnungsarbeit, während der Wiederaufbau für die Garnisonkirche begonnen wird“. Der Gedenkgottesdienst unter freiem Himmel ist der Höhepunkt am Abschlusstag einer Woche, die sich mit Verstrickung, Verfehlung, Umdenken und Widerstand beschäftigte. Oestreicher bekennt sich zum Pazifismus, der jedoch in der heutigen Zeit kein „selbstgerechter Pazifismus“ sein dürfe. So sei es ein „ethischer Fortschritt“, dass Streitkräfte der Bundeswehr heute vor allem da seien, „um Konflikte zu verhindern oder bestehende zu beenden“. Oestreicher spricht von „bescheidenen militärischen Anfängen in Richtung einer Kultur des Friedens.“ Deshalb lädt er auch alle ein, an der Versöhnungsarbeit teilzuhaben, den Kriegsdienstverweigerer und den Soldaten. Wobei für ihn mit Blick auf den Weltkrieg feststeht: „Die erschossenen Kriegsdienstverweigerer waren die einzigen und eigentlichen Helden dieses Krieges“. An diesem Punkt der bewegenden Rede werden sich die Ansichten des Kirchenmannes mit der Haltung anwesender Mitglieder der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär sicher getroffen haben. Sie verteilten vor Beginn des Gottesdienstes Flugblätter, in denen sie darauf verwiesen, dass sich die Verschwörer vom 20. Juli am Angriffs- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht beteiligt hätten und in den Holocaust sowie die Vernichtung von Zivilbevölkerung verstrickt gewesen seien. Nachdem die Polizei Lutz Boede und zwei weitere Kampagnemitglieder zunächst des Platzes verwiesen hatte, durften sie dann doch teilnehmen. Althausen begrüßte somit „auch die, die anderer Meinung sind“. Das gehört wohl dazu.
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