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Landeshauptstadt: Zu wenig Umbruch

und zu viel Potenzial: Potsdams Niederlage wurde am Donnerstag bekannt gegeben – und war keine Überraschung

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und zu viel Potenzial: Potsdams Niederlage wurde am Donnerstag bekannt gegeben – und war keine Überraschung Nur müder Applaus kam auf, als die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz Johanna Wanka am Donnerstagabend kurz nach 19 Uhr das Votum der Kulturhauptstadt-Jury verkündete. Das nordrhein-westfälische Essen und das sächsisch-polnische Görltiz/Zgorzelec hatten es von den insgesamt zehn Bewerbern in die nächste Runde geschafft. Und gerade einmal zwei Gäste im fast überfüllten Auditorium des Jüdischen Museums in Berlin klatschten. Ansonsten fast nur lange Gesichter. Eine gute Viertelstunde zuvor hatten die Vertreter Potsdams, darunter Oberbürgermeister Jann Jakobs und der Projektleiter der Potsdamer Kulturhauptstadt GmbH, Moritz van Dülmen, den Ort der Entscheidung erreicht. Dicht gedrängt um eine Luxuslimousine standen sie vor dem Eingang des Museums und besprachen die Lage. Da war das Ergebnis, offiziell noch gar nicht bekannt, schon von den ersten Presseagenturen verbreitet worden. Und den Gesichtern der Potsdamer war anzusehen, dass diese wussten, wie der Wettbewerb für die Landeshauptstadt ausgegangen war. Mit Fassung wurde dann die offizielle Bekanntgabe aufgenommen. Andere gaben sich weniger zurückhaltend. Während einige der Jurymitglieder, darunter die Vorsitzende Isabel Pfeiffer-Poensgen, der Schriftsteller Adolf Muschg, der Architekturprofessor Walter Siebel und die Fernsehjournalistin Waltraud Luschny, über die Arbeit der Jury und die Gründe der Entscheidung sprachen, wurde das Auditorium langsam leerer. Mancher beließ es nicht nur beim unzufriedenen Gesicht. „Das muss ich mir nicht mehr antun“, war mehr als nur ein Mal zu hören. Immer wieder betonten die Jurymitglieder, dass zu keinem Zeitpunkt des Auswertungsverfahren eine politische Beeinflussung der Entscheidungsfindung stattgefunden habe. Und genauso oft wurde betont, dass es jede der zehn Städte verdient hätte, Kulturhauptstadt zu werden. Worte, die an diesem Abend kaum Trost spenden konnten, auch wenn fast schon mit Penetranz darauf beharrt wurde, dass dies keine „Floskeln“ oder ähnliche rhetorische Spitzfindigkeiten seien. 77 „Nettostunden“ Arbeit habe die Jury in die Auswertung der Bewerbungen investiert, verkündete Isabel Pfeifer-Poensgens nicht ohne Stolz. Mit den An- und Abreisen zu den einzelnen Kandidaten und den ständigen Kontakten untereinander seien so gut zwei Wochen zusammengekommen. Um so überraschter waren alle in der Jury, wie „erstaunlich schnell und erstaunlich einstimmig“ Essen und Görlitz zu den Siegern erklärt wurden. Da wurde man hellhörig im Auditorium und wartete begierig auf die Begründung dieser Entscheidung. Doch bevor die verlesen wurde, gab es erst einmal kurze Statements zu den Verlierern. Voller Lob war Waltraud Luschny für Braunschweig, Bremen, Halle, Karlsruhe, Lübeck, Kassel, Regensburg und auch Potsdam. Und so fragte sich selbst manch Außenstehender, woran es denn nun gelegen hat, dass diese acht Bewerber nicht weiterkamen. Dieses Geheimnis lüftete dann Adolf Muschg. In geschliffener Rede erklärte der Schweizer Schriftsteller, dass Essen und Görlitz zwei Städte seien, in denen Kultur sein muss, damit sie überleben. Essen im Ruhrpott, von der Industrie geschaffen und verbraucht, Görlitz, die Grenzstadt, wo Menschen aufeinander zu gehen, die sich jahrzehntelang die Rücken zu drehten. Der Titel der europäischen Kulturhauptstadt war in diesen Fällen also als Aufbauhilfe für Städte im Umbruch gedacht, wie hier schnell klar wurde. Das an diesem Abend so oft zitierte Potenzial – Potsdam hat scheinbar genug davon – so dass die Stadt auch ohne den begehrten Titel zurecht kommen muss. Nach der Pressekonferenz gaben sich Jakobs und van Dülmen zwar zerknirscht, aber optimistisch. Auf dem „beschrittenen Weg“ will Jakobs weitergehen. Und van Dülmen gab sich ganz selbstbewusst. „Den Titel Kulturhauptstadt haben wir eigentlich schon.“

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