Kultur: Angstfrei und kraftvoll erzählen
Tobias Wellemeyer will nichts umkrempeln, sondern sich erst einmal annähern / Der neue Intendant und seine Vorhaben
Stand:
Herr Wellemeyer, Sie treten Ihre erste Spielzeit am Hans Otto Theater sehr ehrgeizig an: 24 Neuinszenierungen sind geplant, von den klassischen Stoffen, wie Ibsens „Wildente“ oder Shakespeares „Macbeth“, bis zu zeitgenössischen Stücken wie Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ oder David Greigs „Der Architekt“. Hinzu kommen elf Über- und Wiederaufnahmen aus Magdeburg und Potsdam. Kann da nicht schnell die Qualität zu Lasten der Quantität gehen?
Ich habe ein starkes Schauspielensemble zusammengeführt, das mein Vertrauen und das der Regisseure, wie Lukas Langhoff, Markus Dietz, Annette Pullen oder Bruno Cathomas, genießt. Wir müssen einen komplexen Spielplan neu entwickeln, sodass die Kollegen auch ihre Chance bekommen, sich in starken Spielplanpositionen vorzustellen. Ein Drittel unseres Angebotes richtet sich dabei an Kinder und Jugendliche. Eine liebevolle Arbeit mit ihnen ist uns ganz wichtig. Sie sind die nächste Generation unserer Zuschauer. Zudem wollen wir auch experimentieren und forschen, wie weit man inszenatorisch und in der Stückeentscheidung in Potsdam gehen kann. Ich denke, dass wir perspektivisch nicht in dieser Dichte produzieren müssen. Aber ich bevorzuge es, den Motor an der oberen Grenze zu fahren. Das Prinzip der Verausgabung ist für Theaterleute sehr wichtig.
Ein neues Team, eine neue Konzeption, auch ein neues Logo mit einer den Himmel aufbrechenden Möwe. Was möchten Sie alles umkrempeln?
Das poetische Logo zitiert, dass das Theater am See liegt. Und wir hoffen, dass sich nicht nur der Himmel, sondern auch die Herzen der Zuschauer öffnen. Ansonsten kommen wir nicht mit dem Ansatz des Umkrempelnwollens oder -müssens. Die erste Spielzeit ist eine Annäherung an den Ort, ein Jahr der Neugierde, wo wir Kontraste und Konflikte, die die Stadt bereithält, aufsaugen. Ihre Spanne zwischen Provinz und Metropole, ihre Rolle in politischen Debatten, die sie immer wieder spielt, ihre Medien- und Filmpräsenz und dann die Urgesteine, die Kieze. Das sind große Widersprüche. Das kann man am Anfang nicht alles so genau wissen. Andererseits sind wir, was bestimmte Entscheidungen angeht, auch sehr entschlossen.
Wie mit der Auflösung der eigenständigen Kinder- und Jugendtheater-Sparte?
Wir werden die Angebote für Kinder und Jugendliche in die Mitte des Theaters stellen: mit elf Inszenierungen in den verschiedensten Altersklassen, darunter Cornelia Funkes „Drachenreiter“. In Magdeburg haben wir Theater für junge Zuschauer aus allen Sparten heraus entwickelt, es gab keine Spezialgruppe. Jeder war herausgefordert beim kindgemäßen Erzählen von Geschichten. Diesen guten Weg setzen wir in Potsdam fort. Es wird keine A- und B-Schauspieler geben.
Und was wird aus der Reithalle A?
Dort zeigen wir Theater in zugespitzter Ästhetik und unterbreiten abendliche Kommunikationsangebote. Das Miteinandersitzen und -feiern wird eine ganz wesentliche Intensivierung bekommen und dazu wird die Reithalle umgestaltet in eine grundsätzlich neue Atmosphäre.
Gibt es Ideen, die Schiffbauergasse mit anderen Kulturanbietern zu beleben?
Die Schiffbauergasse ist ein großartiger, nicht ausentwickelter Ort. Wir müssen herausfinden, wie wir uns gegenseitig als Künstler und Veranstalter unterstützen können und uns gemeinsam darstellen, ohne die Differenziertheit zu verlieren. Ich habe die polemische Auseinandersetzung in der Vergangenheit verfolgt, denke aber, dass wir mit dem Areal am See die Chance haben, der spannendste Kulturstandort Brandenburgs zu werden. Und auch die Beleuchtung wird in Kürze sicher in Angriff genommen. Die Stadt lässt doch so einen wunderbaren Ort nicht im Dunkeln liegen!
Ihr Vorgänger, Uwe Eric Laufenberg, beschwor die Achse Potsdam – Berlin, gerade auch hinsichtlich der Theaterauslastung, die im vergangenen Jahr leicht zurückging.
Schwankungen in der Akzeptanz halte ich für normal. Das ist uns auch in acht Jahren Magdeburg passiert. Aber in den vergangenen drei, vier Jahren konnten wir die Besucherzahl um 20 Prozent steigern. Es gibt verschiedene Hebel, mit denen man das bewerkstelligen kann: das Anbieten starker, abwechslungsreicher Inszenierungen, das Aufeinandertreffen von Künstlern, die begeistern und polarisieren und auch durch eine kluge Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen ein Netzwerk aufbauen weit nach Berlin und ins Land Brandenburg hinein: mit Anreiseerleichterungen und einer großen Verlässlichkeit. Selbstverständlich wollen wir auch Berliner ansprechen, schon allein der Ort am Wasser dürfte für sie spannend sein, denn da müssen sie nicht in die stickige Innenstadt.
Sie haben in Magdeburg gute Erfahrungen mit Open-Air-Sommerangeboten gemacht, bei denen es u.a. „Die Perlenfischer“, „Wie es euch gefällt“ oder „Titanic“ zu sehen gab. Planen Sie Ähnliches in Potsdam?
Durch Magdeburg weiß ich auch, was solche Angebote kosten, welche organisatorische und dispositionelle Kraft dahinter steckt. Das ist nicht aus dem Handgelenk zu schütteln. Da muss man sich vorsichtig mit möglichen Partnern unterhalten und nicht zu naiv herangehen.
Ähnlich wie bei der Winteroper?
Was wir da mit der Potsdamer Kammerakademie vor einem Jahr erdachten, kommt in diesem Herbst so nicht zustande, weil ein wichtiger Partner aus dem Wirtschaftsministerium nicht Wort gehalten hat. Nun produziert die Kammerakademie „Der Untergang des Hauses Usher“ des Amerikaners Philip Glass in der Regie Achim Freyers, das wir aber mit unterstützen. Wir müssen in diesem Herbst unbedingt versuchen, mit den Geldgebern aus Stadt, Land und freier Wirtschaft einen Rahmenvertrag zu vereinbaren. Die Oper in dem traumhaft schönen Theater in Sanssouci muss man mittel- und langfristig sichern.
Werden Sie dort auch mit Schauspiel aufwarten?
Unbedingt.
Wie groß ist Ihr Schauspielensemble?
Ungefähr 25 Leute. Es werden Kollegen aus Magdeburg mit nach Potsdam kommen, denn es entstehen aus der Arbeit so intensive Kontakte zu Menschen, wo man sich wie beim Fußballteam blind versteht. Und als Regisseur denkt man von manchem Schauspieler: Keiner erzählt mich so weiter wie du.
Werden Sie wie Herr Laufenberg mit prominenten Gästen arbeiten?
Das Stadttheater-Ensemble ist wie das Spiel einer Mannschaft. Starke gute Gäste können aber dazukommen. Man muss indes genau gucken, wer in einer bestimmten Figur gut geht. Alles andere durchschauen die Leute schnell.
Fällt Ihnen der Umzug leicht?
Ich bin kein Mensch, der aus der Rückschau heraus lebt. Ich bin dem Vergangenen gegenüber unsentimental, womit ich manchmal auch anecke. Aber wir haben jetzt über unsere Zeit in Magdeburg ein Fotobuch gemacht, was wir alles bewegt haben und da war ich dann auch stark bewegt: von den Menschenkontakten, die es gab, was wir alles erfunden und ausgehalten haben. Die Magdeburger Jahre waren die bislang wichtigsten und intensivsten in meinem Leben. Aber ich probe schon jetzt in Magdeburg für die erste Potsdamer Inszenierung und so ist die Zukunft schneller als die Vergangenheit. Und das ist gut so. Ich finde es wichtig, sich immer wieder einer Fremdheit auszusetzen, um sich selbst zu spüren. Ich freue mich über viele Irritationen, die Umzüge auslösen.
Gibt der Kritikerpreis 2009, der Sie als ein Mann „mit Herz für die Leute auf der Straße, der das Theater als einen für jedermann offenen Ort“ lobte, zusätzlichen Fahrtwind?
Selbstverständlich bin ich stolz auf diesen Preis. Wenn ich die Beschreibung der Jury lese, fühle ich mich sehr bestätigt, gerade was unseren Ansatz Richtung Stadttheater betrifft. Ich sehe mich da als Teamleiter, der mit seinem Konzept die Stadt verändert hat. Und unser Theater hat seine Kraft auch aus dem Wandlungsprozess der Stadt gezogen. Zudem konnten wir mit Künstlern überzeugen, die überregional ausstrahlen, wie die Regisseure Andreas Kriegenburg, Vera Nemirowa oder Markus Dietz. Soziale Verantwortung und Anschluss halten, was den überregionalen Diskurs betrifft, das ist uns wichtig. Dabei darf man sich nicht verbiegen lassen und fragen, was will diese Gruppe oder jene. Es ist ganz wichtig, angstfrei und kraftvoll zu erzählen, was einem selbst auf der Seele brennt.
In Magdeburg gingen Sie mit Ihren Inszenierungen an „unerforschte Orte“.
Laufenberg hatte ja auch mit seinem Theater unterwegs eine interessante Erfindung. Aber wir haben jetzt das Haus am See und die Reithalle, und die wollen wir erst mal richtig stark machen.
Glauben Sie, dass der Etat ausreicht?
Bevor wir nicht ein Jahr gearbeitet haben, werde ich mich nicht polemisch äußern. Ich ertrage es nicht, dass Künstler öffentlich nörgeln. Ich gehe davon aus, dass uns Stadt und Land durch klare Weiterfinanzierung ihres wunderschönen Theaters begleiten werden und sich auch zu den Tarifaufwüchsen bekennen, sodass das Geld für die künstlerischen Angebote nicht aufgefressen wird.
Das Gespräch führte Heidi Jäger.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: