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Kultur: Auch eine Nutznießerin

Hedwig Bollhagen und ihre Marwitzer Werkstätten während der nationalsozialistischen Zeit

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Ein Aufatmen ging durch den Veranstaltungssaal im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG), als die Freunde der Keramikerin Hedwig Bollhagen (HB) auf der Pressemitteilung des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung lesen konnten, dass HB weder Anhängerin noch Förderin des Nationalsozialismus war. Das haben wir schon immer gewusst, so die Reaktion der Verehrer. Mag sein, dass man überzeugt war, dass die Marwitzer Künstlerin in keinem Augenblick sich der Hitler-Ideologie verschrieben hatte, aber der Vorwurf der Arisierung der Marwitzer Keramikwerkstätten der Jüdin Margarete Heymann-Loebenstein durch Hedwig Bollhagen ging durch die Medien.

Die Kulturhistorikerin Ursula Hudson-Wiedenmann hatte in der Fernsehsendung „Kontraste“ diese Anschuldigung im Gespräch mit Frances Marks, der Tochter von Margarete Heymann- Loebenstein, ins Rollen gebracht. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs war verpflichtet, ein Gutachten beim Zentrum für Zeithistorische Forschung zu den Arisierungs-Vorwürfen gegen Hedwig Bollhagen in Auftrag zu geben. Man reagierte schnell und besonnen auf die in den Medien diskutierten Vorwürfe. Und das war gut so, denn schließlich soll ja in Potsdams Museumshaus „Im güldenen Arm“ eine Dauerausstellung das Werk der bedeutenden Keramikerin des 20. Jahrhunderts würdigen. Es kann nun im kommenden Jahr seine Pforten öffnen.

Die Recherchen der Berliner Historikerin Simone Ladwig-Winters, die im Auftrag der „Zeithistorischen Forschung“ für gut drei Monate tätig war, ergaben nach dem Quellenstand, dass die Verstrickung Hedwig Bollhagens mit dem NS-System in der Weise zum Ausdruck kam, wie sie für Millionen anderer Deutscher ebenfalls galt. Um den eigenen unternehmerischen und künstlerischen Interessen zu folgen, musste Hedwig Bollhagen zugleich auch denen der NS-Herrschaft entsprechen. So wurde sie, nach Auffassung der Gutachterin, Nutznießerin. Diese nunmehr neu „installierte“ Bezeichnung für HB hatte während der Vorstellung der Studie „Hedwig Bollhagen und die Marwitzer Keramikwerkstätten in der NS-Zeit“ anklagenden Charakter.

Hedwig Bollhagen (1907-2001) besuchte die Staatliche Keramische Fachschule im rheinländischen Höhr. Danach ging sie ins Brandenburgische und wurde leitende Mitarbeiterin der Harkort“schen Steingutfabriken Velten-Vordamm. 1931 musste das Werk wegen Liquidation schließen. Für HB begannen ihre Wanderjahre. Sie ging unter anderen nach Karlsruhe und Köln. Doch sie wollte zurück nach Berlin oder wenigstens in die Nähe der Reichshauptstadt. Schon seit längerem kannte die Keramikerin Heinrich Schild, der in der nationalsozialistischen Handwerkspolitik eine bedeutende Rolle spielte. 1934 wurde er sogar Reichshandwerksmeister. Er war ihr behilflich beim Erwerb eines Betriebes. Sie schaute sich mehrere Objekte an, doch die meisten waren unzureichend ausgestattet. Dann erfuhr sie von ihrer jüdischen Freundin Nora Herz, die Bildhauerin war, dass die Haël-Werkstätten der Margarete Heymann-Loebenstein in Marwitz zum Verkauf zur Verfügung stünden. Bollhagen hat dann 1934 mit dem routinierten Schild, der die Verhandlungen führte, die zu diesem Zeitpunkt schon still gelegten Haël-Werkstätten gekauft. Das Gutachten stellt fest, dass zwischen dem Wert der Firma und dem gezahlten Preis eine deutliche Diskrepanz bestand: Ladwig-Winters schätzt einen Gesamtwert von 112 800 Reichsmark, doch Schild und Bollhagen zahlten nur 45 000 Reichsmark. Die als moderne Künstlerin mit Bauhaus-Hintergrund im Dritten Reich sowie als Jüdin diskriminierte Heymann-Loebenstein stand unter starkem politischen Druck: „Unter den lokalen Bedingungen im Umkreis von Velten, Ost-Havelland, hatte sie keine Chance, ihre unternehmerische Tätigkeit ungestört fortzusetzen“, heißt es im Gutachten. Angesichts dessen war es eine „wirtschaftlich vernünftige Maßnahme“ der damaligen Eigentümerin, ab Mitte 1933 keine weiteren Mittel mehr in die Werkstätten zu stecken, sondern das Werk zu schließen und nach einem Käufer zu suchen. Gleichzeitig gab es Drohungen von NS-Funktionären und die Denunziation eines ehemaligen Mitarbeiters. Margarete Heymann-Loebenstein floh aus Deutschland. Bald darauf war sie gezwungen, ihren Betrieb zu verkaufen.

Hedwig Bollhagen soll, so stellt das Gutachten fest, „um die näheren Umstände der Diskriminierung, Diffamierung und Verfolgung von Margarete Heymann-Loebenstein gewusst haben“. Allerdings hatten weder Bollhagen noch ihr Partner Schild diese Umstände „gezielt herbeigeführt“. „Man müsse der Frau helfen“, soll HB gegenüber ihrer Freundin Nora Herz geäußert haben, so ein nahestehender Freund der Keramikerin am Rande der Veranstaltung im HBPG.

In der Bewertung des Zentrums für Zeithistorische Forschung wurde HB als Nutznießerin des NS-Staates bezeichnet. Diese Aussage machte die Runde. Über ihre politische Einstellung scheint nichts überliefert zu sein. Die Aufmärsche uniformierter Kolonnen, die pompösen Selbstinszenierungen der Nazipartei, die Hasstiraden gegen die jüdische Bevölkerung und die Kriegsvorbereitungen werden auch Hedwig Bollhagen nicht entgangen sein. Doch ob sie Begeisterung oder Ekel bei ihr erzeugten, das ist nicht überliefert. An dem „großen Reinemachen“ von allem Undeutschen hat sie sich keineswegs beteiligt. Im Gegenteil: Sie wandte sich energisch gegen die Meinung eines Mitarbeiters, die Chefin sei „nicht genügend deutsch“ und sie habe viel zu viele jüdische Kunden. Sie entließ ihn fristlos. Der verfemte jüdische Keramiker Charles Crodel, der in der Burg Giebichenstein in Halle seinen Lehrauftrag verlor, konnte ab 1935 in den HB-Werkstätten arbeiten. Auch dem Bildhauer Kurt Schumacher gab die Keramikerin in Marwitz einen Arbeitsplatz. Der dem Widerstandskreis um Harro Schulze-Boysen („Die Rote Kapelle“) angehörende Schumacher wurde am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und drei Tage später in Plötzensee ermordet, ebenso seine Frau Elisabeth.

Natürlich musste auch HB Zwangsarbeiter beschäftigen. Im Krieg waren es schließlich 30 Menschen. Und sie nahm öffentliche und SS-Aufträge von Bau- und Gebrauchskeramik an. So bestellte der SS- Reichsführer Essnäpfe, Schüsseln und Schüsselsätze für „Fliegergeschädigte“. Dieser Großauftrag sicherte den Marwitzer Werkstätten das Weiterbestehen und seinen Mitarbeitern Lohn und Brot.

Hedwig Bollhagen hat sich in der Hitler-Zeit so verhalten wie Millionen Deutsche auch. Alle haben sicherlich Nutzen gezogen aus den wirtschaftlichen Verhältnissen der Zeit. Und HB musste nach dem Weltkrieg nicht mehr und nicht weniger Trümmer aus ihrem Leben beseitigen, wie jeder andere. Die Schuld der damaligen Generation, so wird manchmal gesagt, sei nicht teilbar, Doch es gibt Unterschiede, sogar sehr große.

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