zum Hauptinhalt
Die Dirigentin und Komponistin Mayako Kubo

© Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

Richard Wagners Antisemitismus: Wo liegt die Grenze?

Im Apollosaal der Berliner Staatsoper löst die Uraufführung von Mayako Kubos Komposition „Richard & Co.“ Diskussionen aus

Die Grenzen der Kunstfreiheit werden zusehends enger gesteckt, umso wachsamer sollte man gegenüber Zensur sein. Doch Mayako Kubos „Richard & Co.“ berührt nicht nur Identitätskonflikte. Die japanische Komponistin nimmt mit ihrem Stück am Projekt „Ringrauschen“ der Staatsoper Unter den Linden teil, die zu ihrer neuen „Ring“-Inszenierung neun Komponist*innen der Gruppe „Atonale“ um einen „zeitgenössischen Kommentar“ zu Wagner gebeten hat.

Kubo zitiert aus dem Tagebuch der Gattin Cosima, von ihr selbst „frei bearbeitet und zusammengestellt“. Hier treffen banale Befindlichkeiten („Richard hatte keine gute Nacht“) und antisemitische Aussagen unmittelbar aufeinander – diesen „grausamen Kontrast“ darzustellen erklärt Kubo zum „Hauptanliegen“ ihrer Komposition.

Doch tut sie das wirklich? Zunächst erklingt Hörnerschall, diffus verfremdet, doch durch den schnellen Dreierrhythmus und harmonische Verfasstheit unverkennbar dem „Siegfried“ zugehörig. Regina Koncz leiht ihren jugendlich-kraftvollen Sopran Dreiklangsfiguren, welche die Geburt des Wagner-Sohnes Siegfried als Heldentat feiern. Arg affirmativ klingt das, auch wenn es dann atonal geschärft zugeht, denn aus dem ansonsten nicht sehr wortverständlichen Gesang schälen sich Worte heraus wie: „Es sollten alle Juden in einer Aufführung des Nathan verbrennen“ oder „das Judentum sei ein furchtbarer Fluch“. Das bleibt eigentlich von Kubos Aussage übrig.

Bei der Aufführung im Apollo-Saal mischen sich heftige Buhrufe in freundlichen Beifall. Im Vorfeld hatte es Versuche gegeben, die Aufführung zu verhindern, da jüdische Mitglieder der „Atonale“ sich durch den Text beleidigt und an persönliches Leid erinnert fühlten. Die Staatsoperndramaturgie versuchte zu vermitteln und das Stück zu „kontextualisieren“. Der „ganze Wagner“ sollte es eben sein, auch in seinen „dunklen Seiten“.

Ein öffentliches Gespräch mit der Komponistin wurde abgelehnt, „um ihr nicht zuviel Aufmerksamkeit zu geben“ – die sie doch längst hatte. Doch wird im Stück selbst Antisemitisches in schändlichster Form unwidersprochen und auch durch die Musik unkommentiert in den Raum gestellt. Die Inanspruchnahme der freien Meinungsbildung jedes einzelnen wirkt fragwürdig angesichts des zunehmenden Antisemitismus. Der „Freiheit“ wurde Genüge getan, doch für wen?

Alle Kompositionen beziehen sich auf Wagners „Ring“

Wagners Antisemitismus soll nicht verheimlicht werden, er ist bekannt und wird in mannigfachen Regiekonzepten sehr viel sensibler und fruchtbarer „kontextualisiert“. Die kritische Distanz zu dieser ambivalenten Persönlichkeit ist augen- und ohrenfällig, wenn Martin Daske „als sie wie zerbrochen…“ allein aus Wagners Regieanweisungen zu Siegfrieds und Brünnhildes Begegnung im 3. Aufzug der „Götterdämmerung“ das Unrecht einer Vergewaltigung herausdestilliert.

Die Gegenüberstellung mit dem Erfahrungsbericht einer vergewaltigten Frau gibt den – auf dem Hintergrund spannungsgeladener, auf „Siegfrieds Trauermarsch“ basierenden – Klängen Allgemeingültigkeit, die Aufteilung des gesprochenen Textes auf eine künstliche Stimme und eine Schauspielerin schärft den Kontrast des Real-Irrealen.

Auf die „Götterdämmerung“ bezieht sich auch Susanne Stelzenbach mit „In langer Zeiten Lauf zehrte die Wunde den Wald“ als Protokoll eines Zerfalls von Natur und Humanität. Gabriel Iranyi begibt sich in „Das unerklärliche Felsengebirge“ mit sensibler Klangfantasie auf die Spuren von antiker Mythen und emotionaler Gesten. In „stilles begehren“ spinnt Charlotte Seither Wagnersche Sehnsuchtsmotive in reduzierten, zugespitzten Klängen in die Zukunft fort. Das Echo-Ensemble von der Hochschule für Musik Hanns Eisler unter Manuel Nawris souveräner Leitung gibt diesen Werken prägnantes und differenziertes Profil, in dem sie nachdrücklicher weiterwirkt als Kubos missglückte Komposition.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false