Kultur: Robust
„Napoleon“-Abrechnung beim „Vocalise“-Konzert
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„Ist der auch nicht anders, wie ein gewöhnlicher Mensch“, wutschnaubte Ludwig van Beethoven, als er von der Kaiserkrönung Napoleons hörte. „Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize fröhnen ein Tyrann werden!“ Wie weitsichtig. Die Widmung seiner den Ersten Konsul der französischen Republik lobpreisenden 3. Sinfonie Es-Dur op. 55, „Eroica“ genannt, änderte er spontan. Die Noten nicht. Mit ihnen findet das 2. Sinfoniekonzert des Neuen Kammerorchesters Potsdam in der Erlöserkirche seinen Abschluss, das zugleich ein „Vocalise“-Angebot ist. Nun also der klingende Gang zu „Napoleon – Preis der Macht“. Er findet übrigens am 9. November statt, jenem schicksalsträchtigen Tag der deutschen Geschichte.
Hinreichend bekannt dürfte sein, dass Beethoven zeitlebens ein glühender Verehrer der Französischen Revolution war, was sich immer wieder in seinen Werken findet. Seine Enttäuschung über den Verrat des von ihm bis dahin bewunderten Franzosen an den Idealen ist enorm. Um das Publikum wieder in jene revolutionäre Stimmung von einst zu versetzen, ist es vom Dirigenten Ud Joffe aufgefordert, in die durch Mitglieder des Neuen Kammerchores Potsdam, der Potsdamer Kantorei und des neuen berliner chors (nbc) zur Orgelbegleitung (Tobias Scheetz) von den Seitenemporen kraftvoll angestimmte „Marseillaise“ mit einzustimmen. Kaum einer folgt dem Appell. Diesem Entree folgt nahtlos die Ouvertüre zur Beethovenschen Ballettmusik „Die Geschöpfe des Prometheus“, mit der sich nach Ansicht der Veranstalter des Komponisten napoleonische Heldenverehrung manifestieren soll. Wie auch immer: die gleichsam herrisch ausgedeutete Einleitung mündet in die leidenschaftlich gespielte musikalische Entwicklung. Auf die Verehrung folgt mit Arnold Schönbergs 1942 entstandener „Ode an Napoleon“ die Verspottung des Despoten. Sie geht auf eine Gedichtvorlage von Lord Byron zurück, der sich gleichfalls vom Bewunderer zum Verächter des Korsen wandelte.
Sarkastisch und atonal klingt die Abrechnung mit Tyrannen jeglicher Couleur. Schade, dass durch den singsangreichen, textzerhackenden, größtenteils schier atemlos und überwiegend in hoher Frequenzlage vorgetragenen Sprechgesang des Schauspielers Andreas Hermann (Hans Otto Theater) kaum etwas vom Text zu verstehen ist. Der Sinngehalt erschließt sich dem Hörer so leider nicht. „Der Sieger ist geschlagen!“, wenigstens das lässt sich hörend erfassen. Durchweg erfreulich der Eindruck von dem, was das Talis Quartett und Arno Waschk am Flügel straffen und klaren Tons im expressiven Vortrag zu Gehör bringen. Da der zweiten Geige inmitten des Vortrags eine Saite reißt, geht es nach unfreiwilliger Unterbrechung zurück an den Anfang. Ohne weitere Panne wird das Stückende erreicht.
Nach der Pause dann die „Eroica“. Sie deutet Joffe in ziemlich zügigen Tempi energiegeladen, mitunter etwas vordergründig, jedoch ohne heroische Betulichkeit. Er bürstet sie konsequent gegen den Strich, liebt die dynamischen Extreme und Effekte (Pauken!). Die Hörner dagegen haben nicht ihren besten Tag. Ohne in penetrantes Lamento zu verfallen, gleicht die Lesart des Trauermarsches einer wütend wühlenden Nachfrage nach dem Verlust von Idealen. Knallig im Forte, plakativ in der Wirkung – so zeigt sich das Scherzo. Und auch für das Finale hat sich Joffe mit einem robusten (Dirigier-)Mandat ausgestattet. Der Beifall brandet anhaltend.Peter Buske
Peter Buske
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