Kultur: Schnurre
Generationstheater Potsdam im Kunst-Werk
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„Ich habe meine Tante geschlacht“, sie war schon alt und schwach“, singt der Kellner nach Wedekind, indes er eine Tafel für sieben Personen eindeckt. Es kommen aber nur Rita, Martha, Isolde, Gerda, Aloe Vera und Alice. Edeltraud, die erste Sopranistin dieses betagten Damenchores, ist soeben verstorben. Im Nu wandelt sich das bestellte Mahl zu einer knickrigen Trauerfeier mit Teebeuteln, denn die Renten sind schmal und allen ist die tote Teure noch ein Sümmchen schuldiggeblieben.
Johanna Leschs Generationstheater „Rollentausch“ hat wieder einmal zugeschlagen. Im „Kunst-Werk“ kam das selbstgeschriebene Stück „Rosen, Tulpen, Nelken – Alle Blumen welken“ der Regisseuse aus dem Jahr 2005 zur Aufführung, eine höchst amüsante und in Teilen sehr erquickliche Schnurre über Leben wollen und sterben lassen. „Große Tragikomödie“ stand auf dem Titelblatt. Hatte nun der singende Kellner Lothar (Christian Elssner) gerade seine Tante geschlacht“, so antwortet die blumige Damenrunde bei ihrem Entree mit „Wahre Freundschaft soll nicht wanken“, setzt sich und bestellt zu den Teebeuteln auch noch eine Kanne Wasser, dem zweiten Aufguss zuliebe.
Alle haben eine eindrucksvolle Vergangenheit, als Zugbegleiterin, Obstmuckerin, Katechetin oder Fensterputzerin, die Tanzpädagogin Gerda aber musste „immer die Männer tanzen“, deshalb ihr Rufname Gerd. Auch die Jüngste, Aloe Vera, gehört dazu. Welche Überraschung, als sich die „Bio-Kosmetikerin“ und Heulsuse auch noch als Händlerin von Sexartikeln outet! Dank des hinterbliebenen Papageien, der ständig „6-37!“ sagt, und Edeltrauds Poesiealbums mit dem passenden Code setzt sich das Spiel recht spät in Bewegung: Ein Tütchen verspricht ein Wiedersehen mit der Toten. Tatsächlich, nachdem alle genascht haben, verwandelt sich die Szene, wie im Trance singt und spielt das Damensextett, gut maskiert, als seien es Hexen vom Blocksberg. Dann tritt das beflügelte Engelchen Edeltraud hinzu, dargestellt vom einzigen Herrn dieses Abends. Es verrät geheime Rezepte im Vogelkäfig und glaubt, nur erlöst werden zu können, wenn man eine gute Tat für ihre Seele täte. Das bietet sich sogleich an. Kellner Lothar mit einem Strick um den Hals, macht den dringenden Eindruck, sich ob der armen Tante aufhängen zu wollen. Was nun folgte, war etwas wuselig inszeniert. Da Essen jede Trauergemeinde stärkt, will Lothar eine Ich-AG mit Edeltrauds Spezialrezepten aufmachen, als „Catering“ auf dem Friedhof. Gerettet. Sollten die Damen dazu noch singen, wäre das makabre Happyend perfekt und auch Edeltraudchen gedient. Wahre Freundschaft soll eben nicht wanken. So ungefähr. Helma Sage, Ute Schmidt, Christa Nachtigall, Irmgard Wolf, Jutta Marbach und Anna Katzitzke (der Programmzettel gab keine Zuordnungen an) spielten diese Parts an der Seite von Christian Elssner mit Kraft und Witz, unauffällig von Günter Hempel am Klavier begleitet. Nicht zu vergessen der Papagei als Decoder. Mit diesem Team (man hörte es schon bei anderer Gelegenheit) war gut Kirschen essen. Sangesfreudig, temperamentvoll, spielverliebt in erfreulich gemäßigten Bahnen, wurde im „Kunstwerk“ eine hübsche Schnurre der Marke „Tragikomödie“ gegeben, mehr Schnurre als tragisch. Gerold Paul
Gerold Paul
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