Kultur: Spektakel im Freien
Theaterschiff feierte Carmen-Premiere
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Schön erklingen die Kastagnetten in der Schafskälte. Unter der Langen Brücke hallen Georges Bizets berühmte Arien und Duette effektvoll nach und versetzen die vielen Gäste in Entzücken. Hin und wieder rumpelt der Straßenverkehr über die Köpfe hinweg, still fließt die Havel vorbei und vom gegenüberliegenden Ufer spähen Passanten neugierig herüber. Hier, zwischen den langen bogenförmigen Stahlstreben, sicher vor Wind und Regen, feierte am Freitagabend das neue Stück des Theaterschiffs „Carmen – unter der Brücke“ seine eindrucksvolle Premiere.
„Carmen“ ist ein altes Eisen, das unermüdlich neu geschmiedet wird. Seit ihrer Uraufführung 1875 ist Bizets nach der von Prosper Mérimée 1847 veröffentlichten gleichnamigen Novelle inspirierte Oper in unzähligen Adaptionen präsent. Und genau diese Zeitlosigkeit des Stoffes hat auch die Regisseurin Martina König besonders gereizt, die berühmte Liebesgeschichte in ihrem Kern zu greifen, sie auf das Wesentliche zu konzentrieren und mit einer modernen und der für das Theaterschiff-Ensemble typischen Spritzigkeit ins Hier und Jetzt zu transportieren. So spielt die ewige Tragödie von Liebe und Tod unter einem Brückenarm in der Großstadt. Die Akteure tragen Räuberzivil und Allerweltsnamen. Die von Isabelle Liere hinreißend gespielte Karo tanzt vor dem Publikum und trällert betörend die „Habanera“, derweil Mario Neubert als Ronny, ein dem Volksslang verpflichteter Angler in Lederkluft, auf seinem knallroten Ferrari-Tretboot am Havelufer vergnügt auf und ab schippert. Doch droht der Ausgelassenheit ein jähes Ende, als der von Bob Schäfer überzeugend verkörperte Verwaltungsbeamte Jochen Dutschke das illegale Gesangstreiben auflösen und den Schauplatz räumen lassen will. Ein Ansinnen, worin ihn auch Irene Ossa-Moyzes in der für ihre Ausstrahlung etwas zu engen Rolle seiner Frau Michelle nur bekräftigt. Schnell jedoch hat sich der staubtrockene Bürokrat von Karo den Kopf verdrehen lassen. Er ist bezirzt von der Frau, die zu Ronnys E-Gitarren-Solo von „Auf in den Kampf, Torero!“ mit wehenden Gewändern wild im Kreise springt.
Ungeachtet der Unterschiedlichkeit beider Lebensmuster und überdies bar jedweder Versprechungen Karos verirrt sich der Verliebte in viel belachte Kapriolen, will seine heimlich Angebetete auf eine „ordentliche“ Schauspielschule schicken und verlangt von ihr sogar, ihm auf immer zu folgen. Karo jedoch ist eine Frau, die sich nicht einfangen lässt, die ihre Liebe zur Freiheit lebt, ohne dafür groß das Zigeunerinnen-Klischee zu bemühen. Dass sich die Flirtenden umkreisen wie Cowboys vor dem Duell, ehe daraus ein kurzer Engtanz wird, in den sich dann Michelle mit stechenden Blicken wirft, ist nur eines von vielen Bildern für die allein durch Bewegungen und Musik oder auch amüsant improvisiert vermittelten Aussagen des Stücks. Wirklich wunderbar entfalten sich die einzelnen Figuren dank ihrer Spielfreude darin. Unausweichlich aber endet das Spektakel nach anderthalb Stunden schließlich tragisch. Der Beamte, dessen Frau vor Kummer tatsächlich in die kalte Havel gesprungen ist, hockt wie ein Häufchen Elend am Brückenpfeiler, bevor er stracks zum Mörder wird an Ronny, den vermeintlichen Rivalen, und Karo, die er nicht besitzen kann. Ein charmant lakonischer, vom anschließenden lang anhaltendem Beifall fast schon verschluckter Showdown. Daniel Flügel
Nächste Vorstellung am Freitag, dem 8. Juni, um 20 Uhr, auf dem Theaterschiff an der Alten Fahrt
Daniel Flügel
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