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Kultur: Warten auf das nackte Ende

„Ladies Night“ der Comédie Soleil in der Manege am Neuen Markt

Stand:

Das Lustspiel „Ladies Night“ funktioniert wie ein guter Strip. Die 90 Minuten vor dem Finale, auf den auch das Premierenpublikum am Neuen Markt hinfiebert, dienen einzig dazu, Spannung aufzubauen. „Ganz oder gar nicht“ lautet die Schlüsselfrage, die erst ganz zum Schluss gelöst oder besser wohl „gelüftet“ wird. Fällt schließlich das letzte Stück Stoff der Nackigtänzer? Wir leben im Postfeminismus, in dem Frauen ihre visuelle Lust genauso animalisch ausleben wollen, wie es Männer tun. Werden größere Flächen männlicher Haut zu animierender Musik freigemacht, setzen sofort Gejohle und Gepfeife ein. Wie sagt es der Barry im Stück treffend: „Ich würde mich lieber vor ein Rudel Rottweiler werfen.“ Die Comédie Soleil, das Potsdamer Theater ohne festen Wohnsitz, setzt mit dem für das Kino verfilmten Bühnenklassiker über vier Arbeitslose, die ein Stripquartett gründen, wohl kalkuliert auf die Macht des erotischen Urtriebs.

Die Stimmung unter den Gästen in dem mit zwei großen Kristalllüstern geschmückten Mehrzweckraum ist also recht gelöst. Der Prosecco von der großen Bar gegenüber der Bühne tut ein Übriges. Doch beim Anblick der Gestalten von Barry, Gavin, Wesley und Norman kommen echte Zweifel, ob man auf das versprochene Auspacken noch erpicht sein sollte. Barry (Andreas Brandt) und Gavin (Romeo Riemer) erinnern an die stämmigen Stahlarbeiter Sheffields, über die das Stück ursprünglich geschrieben wurde. Norman (Felix Sommer) ist eine schmächtige Bohnenstange, Wesley (Florian Wilke) ein Brillenträger mit Kegelbauch. Der Eindruck von Armseligkeit, den diese Figuren erwecken, geht als Pluspunkt an eine geschickte Rollenbesetzung. Um am Schluss die Synapsen der Damen erotisch kollabieren zu lassen, muss wirklich noch einiges getan werden. Hörte man ein enttäuschtes Seufzen, als Craig (Robert Bittner), der einzige Besitzer eines jungen und tadellosen Körperbaus, für sich den Job des Managers hinter den Kulissen auswählte?

Nun beginnt ein fröhlicher Mummenschanz mit neckischen Accessoires, ungefähr so lustig wie Männerballett. Überhaupt sind die Kostüme (RUDI) der Comédie Soleil an diesem Abend beinahe schon wollüstig opulent. Norman wartet dabei mit überraschender Karohose auf, deren Eingriff sich sehr zur Erheiterung der Zuschauer auf dem Hinterteil befindet.

Die erste Darbietung vor den Augen des finsteren Clubbesitzers Bernie, eine Paraderolle für Theaterleiter Michael Klemm, fällt unprofessionell aus. Barry hopst in Rockermontur und mit gelöstem Pferdeschwanz linkisch über die Bretter und lässt den Hintern kreisen. Das reicht schon, um ein Frohlocken in den Reihen zu erzeugen. Gavins mächtiger Fleischvorbau kommt unter einer knappen Toga recht glänzend zur Geltung. Wesley tanzt in arabischer Tracht und führt ein auftragendes Geheimnis unter dem Umhang mit sich. Parodie, Slapstick, Verkleidungstheater: das Stück schreitet flott voran. Platz für Charakterstudien findet sich da nicht. Aber wer will, kann in Barrys konstantem Lamento über seine Frau Denise sogar sozialkritische Töne heraushören, die in der Kinoverfilmung mit Peter Carlyle („Trainspotting“) den ernsten Hintergrund für die Verzweiflungstat bilden. Die Auftritte von Glenda (Nadja Winter) markieren die schauspielerischen Höhepunkte des Stücks. Die Frau aus dem Rotlichtmilieu ist als Trainerin engagiert und rettet den großen, letzten Auftritt durch einen hübsch anzusehenden Temperamentsausbruch.

Dann, endlich, haben die vielen Andeutungen ein Ende. Die Truppe, so wird behauptet, hat großen Erfolg, und nun verschwindet man nicht mehr zur Seitentür, sondern es wird ein spektakulär rot schillernder Vorhang gezogen. Romeo Riemer steigert die Spannung mit einer etwas improvisiert wirkenden Travestieeinlage als Tante Mo, dann stehen vier Kerle in Netzshirt und Batikoutfit vor den Rängen. Die Verwandlung in geschmeidige Animiertänzer scheint noch nicht vollends abgeschlossen. An der Synchronisierung kann noch in den folgenden Aufführungen gearbeitet werden. Rhythmisches Klatschen setzt ein. Ganz oder gar nicht? Bei Wesley hakelte der Knopfverschluss. Die Menge forderte sofort Zugabe.

„La Manège“, Am Neuen Markt 9 a/b, Infos und Tickets unter Tel.: 0331 - 8871393

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