Potsdam-Mittelmark: Wandertheater auf Weltumsegelung
„Ton und Kirschen“ haben „Perpetuum mobile“ wunderbar inszeniert
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Werder - Dauernd Arbeit zu leisten ohne Energiezufuhr von außen, gleichsam aus und durch sich selbst bewegt, und das endlos „so weiter“, ist mit dem Begriff „Perpetuum mobile“ verbunden. Die Physiker haben die Unmöglichkeit einer derartigen Konstruktion längst bewiesen, aus gleichen Gründen bewiesen sie ja auch, dass eine Hummel gar nicht fliegen können dürfte.
Mit seiner neuen Inszenierung schlägt sich das international besetzte Wandertheater „Ton und Kirschen“ nun auf die Seite der Hummeln. Sie heißt ostentativ „Perpetuum mobile“, wird von sieben Künstlern und einer ganzen Schar von Puppen oder Marionetten ausgeführt und hatte am Freitagabend am Glindower Jahnufer eine große Premiere.
Menschentheater als Puppenspiel, Puppentheater als Menschenspiel in einer Welt, die für manchen nur aus Suchen besteht, und aus Reisen. Vor der Absperrung eine riesige Kugel, hohl, dafür mit Röhren, in sie hineinzusehen und hineinzuhören. Was schaut man? Den Globus von außen, darin die Erde wie eine Scheibe. Fremde Stimmen in fremder Sprache innen – was für ein „Vorspiel“! „Doch das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist“ steht als Motto auf dem schmalen Programmzettel. Kleists Aufsatz „Über das Marionetten Theater“ gibt dieser Szenenfolge, „der Kosmos in Bildern“ genannt, das Gefüge, das Publikum sieht, was es sieht: Wie unter Live-Musik großflächige, aber durchscheinende Segel in den Abendhimmel gezogen werden, zweie tragen das Modell eines Schiffes durch die Arena, Meeresrauschen, Cello und Tango zu einer Kriegsszene, welche in die Reminiszenz eines Selbstzitates der Truppe übergeht. Dann stößt ein lebensgroßer Marionettenmann, von drei Spielern geführt, raumgreifend zu der Truppe. Später wird er, „antigravid“, wie Kleist es beschreibt, auf den Köpfen der Zuschauer wandeln, um wieder zu entschwinden. Ein Ritterduell um die Minnegunst eines Burgfräuleins als Marionettentheater im Stil eines Bänkelauftritts.
Szene geht in Szene über, mal spielen Menschen, mal führen sie Puppen, wer lenkt da wen? Einem Autor etwa wird sein Werk angezündet, traurige Sache, doch flugs setzt sich ein Darsteller die rote Knollennase auf, den Hut eines Feuerwehrmannes, und schon ist der Ernst durch clowneske Heiterkeit wieder kunstvoll gebrochen – undsoweiter
Das eben zeichnet diese Wandervögel vor allen Truppen weit und breit aus: Verständnis des Theaters als Spiel mit Stoffen, Puppen und Masken, sie setzen solche Kunstmittel stets auch kunstvoll ein, Ehrensache für das Ensemble. Man gebraucht wenige Worte, doch viele Bilder, der Zuschauer sieht, was er sieht, Szenenapplaus. Jedes Bild wirkt leicht und meist heiter, doch Ernst ist gemeint. „All das hat mit unserem Leben zu tun“, sagte Margarete Biereye nach dem Finale. Alles hat tatsächlich mit „Ton und Kirschen“ zu tun, der eilige Gast kommend und gehend, das Aufrichten eines gewaltigen Kunstwerks am Hauptmast des Abends, wie eine Vernissage inszeniert, wahrscheinlich auch der Kampf um die Frau, das viele Reisen.
Eine wunderbare Inszenierung von „Perpetuum mobile“, darin Mikro- und Makrokosmos in eins zusammenzufallen scheinen. Theater als Kunst, diese als Leben. Na denn „hummel, hummel!“ – und so immer weiter!
Nächste Vorstellungen am 19. und 20. Juli an der Regattastrecke in Werder, 20 Uhr
Gerold Paul
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