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Gesellschaft: Reifeprüfung

Er gibt dem Käse das ganz besondere Aroma: der Affineur. Und Philippe Alléosse ist einer der Besten seiner Zunft. Besuch in einem Pariser Käsekeller.

Philippe Alléosses Schätze lagern in einer engen Straße im Norden von Paris. Vor einem sechsstöckigen Ziegelbau steht sein kleiner Lieferwagen, ansonsten kann man von außen kaum erahnen, was sich im Hinterhaus verbirgt. Wer dort die steile Stiege in den Keller nimmt, wird überrascht sein. Denn hinter einer Stahltür folgen insgesamt 300 Quadratmeter – voller Regale, in denen rund 10 000 Stück Käse lagern.

Der Keller ist unterteilt in vier Räume, in denen jeweils eine andere Temperatur und Luftfeuchtigkeit herrschen. Im ersten zum Beispiel befindet sich der Käse mit „pâte pressée“, auf Deutsch würde man von Hartkäse sprechen. Riesige Laibe Emmentaler, 70 bis 80 Kilo schwer. Auch weniger imposante Räder des edlen Beaufort kann man hier finden. Sie sind nur halb so schwer, aber für jeden einzelnen Laib sind 400 Liter Milch nötig.

Der 50-jährige Alléosse klopft mit einem Hämmerchen an einen Käse, um die Reife zu testen. Er hört gewissermaßen das Alter. Mit einer sogenannten Karotte, einem Instrument aus Metall, sticht er dann einen langen Käsewurm aus dem Inneren aus. „Das Verrückte ist“, sagt er, „der Schimmel auf dem Käse hat dieselbe Farbe wie die Blumen der Wiese, auf der die Kuh geweidet hat.“

Philippe Alléosse ist Affineur. Er veredelt Käse, lässt ihn unter optimalen Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen für mehrere Wochen oder sogar Monate reifen, badet und wendet ihn, reibt ihn mit Wein oder Schnaps ein. „Der Affineur ist so etwas wie die Amme, die das Neugeborene in die Arme nimmt und es hegt und schützt, bis es auf eigenen Beinen stehen kann“ – so hat Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck diesen Beruf einmal beschrieben. Ähnlich wie Winzern beim Wein geht es Affineuren darum, im Käse den Geschmack der Milch, der Rinderrasse oder des Weidegrases zu entfalten.

In Deutschland gibt es maximal eine Handvoll Affineure, in Frankreich vielleicht einhundert. Käsekenner zählen Alléosse zu den besten. Als Erster in Paris durfte er den Titel „Maître Artisan Fromager Affineur“ tragen, verliehen von der örtlichen Handwerkskammer. Er ist außerdem der einzige Vertreter seines Berufsstands, der über einen eigenen Keller in der Stadt verfügt.

Man muss sich Alléosse als einen Besessenen vorstellen. Besessen und beseelt. Er ist groß, schlank und wirkt wie getrieben. Als hätte er keine Zeit, all das zu tun und zu sagen, was ihm vorschwebt. Wenn er redet, ist er nicht mehr zu bremsen. Seine Augen funkeln, seine Arme rudern. Er ist der Typ von Mensch, der vermutlich keine fünf Minuten still sitzen kann. Der Typ von Mensch, dessen Enthusiasmus ansteckend ist. Er wirkt wie der geborene Vertreter. Man würde ihm alles abkaufen. Wie er so vor einem steht, mit blauer Fleece-Weste, könnte man ihn auch für einen Skilehrer halten, sympathisch und energisch.

Von Paris aus beliefert Alléosse die Welt: Feinkost Käfer in München, Restaurants in Ulan Bator oder Hongkong, den Feinkostladen „La Crémerie“ in Berlin (siehe Kasten rechts). Gerade in Asien und im Maghreb sei der Käsekonsum in den vergangenen Jahren enorm angestiegen, erklärt Alléosse.

Er ist quasi zwischen Käse aufgewachsen. Seine Eltern eröffneten 1977 einen kleinen Käseladen am Gare du Nord. Mitte der 80er Jahre zogen sie von dort in Richtung Nordwesten, in das 17. Arrondissement. In der Rue Poncelet 13 eröffneten sie die Fromagerie, die der Sohn später übernahm. Inzwischen ist Alléosse selbst seit mehr als 25 Jahren im Geschäft. Sein Käsekeller befindet sich ein paar Straßenzüge nördlich vom Laden.

Käseveredlung ist keine genaue Wissenschaft, eher eine Kunst: Es geht um Erfahrung, um das richtige Auge, die feine Nase, selbst um ein gutes Ohr. Und die Affineure sind nicht gerade offenherzig, ihre Geheimnisse zu verraten.

Bei der kleinen Führung durch seinen Keller ist Alléosse mittlerweile in Raum drei angelangt. Hier lagern die Stinker, pâtes molles, Weichkäse. Der Affineur sprüht den Käse ein, wahlweise mit Marc de Bourgogne, mit Chablis, sogar mit Champagner. Für den „Langres aux vieux Marc“ ist er seit fünf Jahren ununterbrochen mit der Goldmedaille der Käse-Innung ausgezeichnet worden. Er sagt, das sei „le must du must“. Das Rezept zur Behandlung des Käses – über Details schweigt er sich aus – habe ihm ein alter Mann weitergegeben.

Rund 700 Tonnen Käse lagern jährlich in Alléosses Keller, an die 250 Sorten. Manche bleiben nur ein paar Wochen, andere viele Monate bis hin zu Jahren. Seine Ware bezieht der Affineur meist direkt von Produzenten, die er persönlich kennt. Etwa 40 Prozent aber kauft er auf dem Großmarkt von Rungis.

„Ich möchte den Kunden Vergnügen bereiten, Genuss“, erklärt Alléosse seine Philosophie. Für ihn geht es um „passion“, um Leidenschaft. Er sagt: „Ich möchte Frankreichs Ehre retten.“ Viel Unterstützung bekomme er dabei leider nicht.

Die Ehre retten? Zumindest den Ruf Frankreichs, eine kulinarische Nation ersten Ranges zu sein. Alléosse spielt auf den sogenannten Camembert-Krieg an, als die Großkonzerne wie Lactalis und Isigny-Saint-Mer, die immerhin 80 Prozent des französischen Camemberts produzieren, vor einigen Jahren aus der Rohmilchproduktion ausstiegen. Die Kunden mochten das nicht. Sie wollten ihren alten Camembert, hergestellt aus Rohmilch. Sie boykottierten die Ware und zwangen die Industrie zur Umkehr.

Der große Krieg war zwar gewonnen, aber die kleinen Schlachten finden weiterhin statt, jeden Tag. Im berühmten französischen Ziegenkäse Crottin de Chavignol, obwohl als „AOP“ Käse mit kontrollierter Herkunftsbezeichnung geschützt, dürfen bis zu 20 Prozent tiefgefrorener Milch sein. Ein Skandal, findet Alléosse. „Wenn Sie den im Ofen erhitzen“, sagt er spöttisch, „fliegt er Ihnen um die Ohren, das ist reines Polystyren.“

Natürlich übertreibt der Pariser Affineur da ein wenig. Das gehört bei ihm dazu. Doch die kleine Käseplatte, die er einem am Ende mitgibt, bestätigt ihn. Sein Brin d’Amour, ein korsischer Schafskäse mit Kräutermantel, schmeckt wirklich außergewöhnlich gut – eben wie das Werk eines beseelt Besessenen.

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