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Verwirrspiele. Das Bild im Bild im Bild verkörpert Grahams Cowboy in der Fotografie "Paradoxical Western Scene" von 2006 - den er natürlich selbst spielt.

© Rodney Graham, 2017

Rodney Graham-Ausstellung: Die Endlos-Rolle

Ob Dandy, Cowboy oder Lehrer: Der Kanadier Rodney Graham spielt mit der Verkörperung von Stereotypen. Eine Schau im Museum Frieder Burda in Baden-Baden feiert den Konzeptkünstler.

Rodney Graham ist ein Multitalent. Er kann Gipswände weißen – oder Leinwände im Stil des abstrakten Expressionismus füllen. Je nach Aufgabe wechselt er die Kleidung und damit seine soziale Identität. Einmal posiert er im Holzfällerhemd auf Stelzen, das andere Mal steht er im Schlafanzug in einem Avantgarde-Interieur aus den sechziger Jahren. Als Drummer im Glitzerjacket spielt der Künstler in einem Club – auch wenn er hier gerade pausiert und sein Abendessen auf den Trommeln balanciert. Und als Wärter eines Leuchtturms baut er an einem Leuchtturmmodell.

Grahams Leben entfaltet sich auf monumentalen Fotografien, seine Existenz zersplittert in zahllose Rollen, die der kanadische Künstler ganz ernst und perfekt in diversen Outfits spielt. Ob Cowboy, Dandy, Lehrer oder Filmverkäufer, kein Metier scheint ihm fremd. Die Leuchtkästen im Museum Frieder Burda, dessen Ausstellung „Rodney Graham: Lightboxes“ auch den neuen Kurs der privaten Institution in Baden-Baden aufzeigt, machen die Inszenierungen noch ein Stück glaubhafter. Wohin man auch schaut: Jedes Setting bildet ab, was man mit solchen Situationen verbindet. Dabei blättert Graham das Album einer medialen Ära auf. Seine Figuren sind Stellvertreter von Bildern, die medial zirkulieren. Was er nachstellt, ist vermittelte Wirklichkeit – auf Fotos und aus Filmen, die sich in der Erinnerung mit Selbsterlebtem mischen. So basiert „Small Basement Camera Shop circa 1937“, das Interieur eines kleinen Fotogeschäfts mit verstaubtem Fachverkäufer, auf einem Schnappschuss, den der Künstler beim Antiquitätenhändler entdeckt hat. Wie gewohnt stellt Graham sich selbst in die Requisiten. Alles hier wirkt zufällig und alltäglich. Dabei verstecken sich überall Geschichten, die reflektieren, was man da sieht. Etwa der Kodachrome-Diafilm im Regal des Ladens: Die Rollen gibt es seit 2009 nicht mehr, bis dahin waren sie das bevorzugte Material fotografierender Künstler. Dass Kodak die Produktion eingestellt hat, brachte viele von ihnen in Schwierigkeiten, weil sie nicht wie gewohnt weiterarbeiten konnten.

Seine Arbeiten verdichten die jüngere Vergangenheit

Der Shop – ein Relikt. Die analoge Fotografie – vorbei. Selbst den Fachmann braucht niemand mehr, und wenn man sich umschaut in Grahams Universum der grauhaarigen Männer, dann sind sie alle von der Zeit überholt. So wie der Punk mit Igelfrisur, der an einem öffentlichen Telefon steht, das noch eine Wahlscheibe hat. Mehr Vorgestern geht kaum.

Ist das Nostalgie? Eher ein Trick des Künstlers, Jahrgang 1949, der mit Fotografen wie Jeff Wall oder Stan Douglas zur sogenannten Vancouver School zählt. Seine Arbeiten verdichten die jüngere Vergangenheit, jedes Foto birgt in seinem Innern mehrere Bilder, die sich vor dem geistigen Auge entrollen. Der Mann im Leuchtturm, der am Leuchtturm baut, ist zugleich Schöpfer seiner eigenen kleinen Welt. Am Baum hinter dem stilecht inszenierten Cowboy der Arbeit „Paradoxical Western Scene“ (2006) hängt ein Fahndungsplakat, das den Cowboy wiederum vor einem Plakat zeigt – und so weiter. Im Keller des Museums Frieder Burda läuft das Video „Vexation Islands“ von 1997. Graham in der Rolle eines Piraten, dem eine Kokosnuss auf den Kopf fällt, die ihn ohnmächtig werden lässt, bis er wieder aufwacht und erneut von der Nuss getroffen wird, hat die Wiederholung schon vor Jahrzehnten zu seiner Obsession gemacht. Das Leben läuft in einer Endlosschleife, der Fortschritt ist Chimäre. Wer sich über den Punk amüsiert, wird bald selbst aus der Vergangenheit kommen, weil die Technik schon wieder auf dem Sprung ist.

Großartige Vexierspiele

Der Blick zurück enthüllt, woraus die eigene Existenz gemacht ist. Davon erzählt auch das Diptychon „Media Studies 77“ (2016) auf höchst raffinierte Art. Die Schlaghosen, der Zeitgeist im Rollkragenpulli, das Equipment der Medienwissenschaftler wird gerahmt von einer Wandtafel, auf der Graham als Lehrer alle Informationen ausgewischt hat. Die Kreidereste sind allerdings so sorgsam arrangiert, dass man unwillkürlich an eine abstrakte Malerei denkt.

So führt das Motiv diverse Strömungen von 1945 an bis in die siebziger Jahre in einem Bild zusammen, die bis heute maßgeblich sind. Man könnte sie das kulturelle Gedächtnis nennen, wenn der Begriff mit Blick auf Grahams großartige Vexierspiele nicht so verdammt altmodisch klänge. Dass sie nun in Baden-Baden als bislang größte Übersicht seiner Fotoleuchtkästen der letzten zwanzig Jahre zusammenfinden, spricht sehr für das Haus. Denn der Künstler ist in Burdas Sammlung nicht vertreten.

Eine neue Ära für das Burda-Haus

Lange galt im Bau von Richard Meier die Devise, Ausstellungen aus der Burda-Sammlung heraus zu konzipieren. Das Ergebnis waren stets Blockbuster mit großen Namen: Max Beckmann, August Macke, Jackson Pollock, Mark Rothko oder Pablo Picasso. Mit der Neuausrichtung gesellen sich zeitgenössische Künstler zum Programm, die wichtige Positionen vertreten und ihre Arbeiten in Solo-Schauen auf allen drei Ebenen des Museums zeigen können.

Parallel hat im Herbst 2016 der Salon Berlin eröffnet: Auf einer Etage der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße kuratiert Burdas Stieftochter Patricia Kamp, die auch dem Haus in Baden-Baden eng verbunden ist, eigene Ausstellungen. Schließlich hat mit Henning Schaper ebenfalls im vergangenen Jahr ein versierter Museumsmanager die Direktion übernommen. Mit all diesen Maßnahmen läutet Frieder Burda eine neue Ära in seinem Haus ein – den Generationenwechsel, auch wenn er, wie Graham eindrucksvoll, beweist, nur auf der Basis von Kontinuität gelingt.

Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, bis 26. 11., Di–So 10–18 Uhr

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