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Harte Ernte im steilen Neckartal. Seil und Haken sind allerdings nur für das Bild nötig.

© Felsengartenkellerei/Blumhardt MediaDesign

Sind deutsche Steillagen bedroht?: Der Weinberg ruft

Steile Lagen an Mosel, Mittelrhein oder Neckar prägen das romantische Bild klassischer deutscher Weinbauregionen. Der Klimawandel macht die aufwendige Arbeit am Hang verzichtbar – mit dramatischen Folgen für Landschaft und Winzer.

Nie war der Himmel blauer. Und nie waren die Trauben makelloser. Wie gemalt hängt der Trollinger zuckerschwer in den Felsterrassen bei Hessigheim im Kreis Ludwigsburg. Kaum eine unreife oder faule Beere dazwischen, auch keine Schrumpelrosinen – die pralle Wonne. „Guck dir das Ding hier an!“ Immer wieder hält ein anderer aus der Lesemannschaft eine abgezwickte Traube wie eine Trophäe in die Sonne und grinst.

„85 Oechsle, das ist spitze!“, sagt Willi, der Weinerlebnisführer über die süßen Beeren, während er eine Schar von elf Journalisten „An der Himmelsleiter“ in einem der schönsten Weinberge im Schwäbischen befehligt.

Unten zieht der glitzernde Neckar eine elegante Schleife, oben knallt die Sonne auf die Rebterrassen. Noch vor wenigen Wochen wurden hier 60 Grad Celsius gemessen. Und wer die Opuntien-Kakteen sieht, die im heißen Mikroklima direkt an den Mäuerchen hochwachsen, der reibt sich ohnehin die Augen. Nein, das ist nicht Mexiko. Das ist jene bezaubernde Weinlandschaft aus terrassierten Steillagen, die immer wieder als „Juwelen der Weinkultur“ bezeichnet werden. Doch die Juwelen funkeln nicht mehr so richtig.

Warum noch die ganze Plackerei?

Die heftige Klimaveränderung sorgt dafür, dass die meisten Rebsorten jetzt auch in Flachlagen reif werden. Warum also noch die ganze Plackerei, warum die mühevolle Handarbeit? „Stellt euch mal vor, es wäre heute nass und glatt“, sagt Willi. Dann wäre die Lese am Steilhang eine gefährliche Rutschpartie.

Insider denken sofort an den so tödlich verunglückten Uli Franzen, den legendären Moselwinzer, der den steilsten Weinberg Europas, den Bremmer Calmont rekultiviert hat – bei 68 Grad Hangneigung! Zum Vergleich: Bei der Tour-de-France- Etappe nach Alpe d’Huez hatte der steilste Kilometer sieben bis acht Grad.

Selbst dem Riesling ist es zu warm

Franzens Engagement war außergewöhnlich, weil es in eine Zeit fiel, als immer mehr Weinberge aufgegeben wurden. Die Rebfläche in den Steillagen der Mosel war in den 1980er und 1990er Jahren dramatisch geschrumpft. In ganz Deutschland ging die Steillagenfläche um ein Drittel zurück. Wie hässliche Pickel breiteten sich die Brachen in den Hängen aus. Jetzt könnte sich der Niedergang aufs Neue beschleunigen. Ab 2016 gestattet die EU-Gesetzgebung, dass Winzer ihre Pflanzrechte innerhalb des eigenen Betriebs übertragen dürfen. Auf Deutsch: Wer das Schuften leid ist, kann von der Steillage ins Flache umziehen – der Knock-out für die echten Weinberge?

Götz Reustle, der alerte Chef der großen Winzergenossenschaft „Felsengartenkellerei Besigheim“, ist Herr über 130 Hektar Steillagen. Keiner besitzt mehr Weinjuwelen, und es ist sein Trollinger, der heute gelesen wird. Reustle will alles tun, um die seit Jahrhunderten bestehenden Naturdenkmäler zu erhalten, die „Kulisse“, wie er sie nennt. Aber: „Wenn ich wirtschaftlich Weinbau betreiben will, dann muss sich etwas ändern“, sagt Reustle gleich danach. Er sucht neue Überlebensstrategien für die Neckarhänge, einen Ausweg aus der Krise. Eines ist sicher: „Der Trollinger braucht keine Steillage, den krieg’ ich auch im Flachen reif, und selbst dem Riesling ist es eigentlich zu warm in den Terrassen.“

Der Norden profitiert von der Wärme

Harte Ernte im steilen Neckartal. Seil und Haken sind allerdings nur für das Bild nötig.
Harte Ernte im steilen Neckartal. Seil und Haken sind allerdings nur für das Bild nötig.

© Felsengartenkellerei/Blumhardt MediaDesign

Noch in den 70er und 80er Jahren waren die Winzer froh, wenn ihre Trauben in schwachen Jahren 65 Oechsle erreichten. Dann musste tief in den Zuckersack gegriffen werden, um Trinkbares zu produzieren. 1984 lag zur Lese Schnee auf grasgrünen Trauben. Damals brachten die Steillagen Jahr für Jahr deutliche Reifevorteile. Sie hatten den Weinbau in den nördlichen Breiten überhaupt erst ermöglicht. Wegen der Hangneigung trifft die Sonne im idealen Winkel auf die Reben, die dadurch besser reifen. Die Temperaturen sind höher, die Kälte fließt nach unten ab. Die Terrassenmauern speichern die Wärme auch im Winter, so sind Frostschäden seltener.

Heute profitieren vor allem nördliche Anbaugebiete etwa an Ahr, Saar und Mosel von der Extrawärme der Steillagen. Am Neckar werden in den nach Süden exponierten Hängen selbst beim spät reifen Riesling schon Anfang Oktober fast dreistellige Oechslegrade gemessen. Um Alkoholbomben zu vermeiden, müssen die Winzer den Lesetrupps Dampf machen. Häufig heißt es nun: Oechsle – nein Danke, weniger ist mehr!

In guten und mittleren Jahren erreichen jetzt auch südeuropäische Rebsorten wie Syrah oder die Bordeauxtraube Cabernet Sauvignon an steilen Ufern ihre Vollreife. Die Crux: Selbst die besten Weinberge sind hier oft mit Trollinger bestockt. Doch die Traditionstraube der Schwaben ist in den aufwendig kultivierten Steillagen eine krasse Fehlbesetzung. Sie bringt selbst in Superjahren wie 2015 nur einen braven Vesperwein hervor, der in der Regel für fünf, sechs Euro verkauft wird. Doch schon die Selbstkosten liegen für Steillagenweine bei fünf bis acht Euro, wie die Berliner Weinexpertin Jutta Mühlhäuser vorrechnet.

Die Winzer betreiben Landschaftspflege

Die Sommelière beschäftigte sich in ihrer Diplomarbeit der Weinakademie Rust intensiv mit dem Thema. Ihre Kritik: „Mit der bescheidenen kommunalen Steillagenförderung allein kommt man nicht weiter. Das ist nur Gefahrenzulage und Kulturbonus für die landschaftspflegerische Aufgabe der Winzer. Wir brauchen ein Gesamtkonzept auf europäischer Ebene.“ Sie verlangt neue Impulse und mehr Motivation gerade für die jungen ambitionierten Winzer, und sie fordert den Abschied vom Gießkannenprinzip: Die Förderung solle sich auf die besonders steilen Handarbeitslagen konzentrieren.

Auch Weinwerbe-Institutionen und Fachhändler müssten die Steillagen stärker als einzigartigen Schatz des deutschen Weinbaus herausstellen.

Steillagen sind oft karge, charaktervolle Böden. Nicht nur die Winzer, auch die Reben müssen sich quälen. Deshalb wurzeln sie tiefer, bringen mehr Mineralität und Spannkraft ins Glas, das ergibt komplexere Weine mit mehr Potenzial. Zudem konkurrieren die Berglagen der Reben nicht mit dem Anbau von Nahrungsmitteln im Flachland. Schon die Römer wussten, warum Weinberge „dort stehn, wo kein Pflug kann gehn“. Aber auch für die Natur sind die Rebhänge ein attraktiver Lebensraum mit Edelfaltern, mediterranen Eidechsen, seltenen Pflanzen.

Der Charme geht verloren

Harte Ernte im steilen Neckartal. Seil und Haken sind allerdings nur für das Bild nötig.
Harte Ernte im steilen Neckartal. Seil und Haken sind allerdings nur für das Bild nötig.

© Felsengartenkellerei/Blumhardt MediaDesign

Die Kehrseite der Medaille markiert eine nackte Zahl: Bis zu 1400 Stunden Arbeitseinsatz erfordert ein Hektar Steillage. In maschinell bearbeiteten Flachlagen kommt man mit 300 Stunden zurecht.

Jetzt, zur Lesezeit, rumpeln Vollernter durch die flachen Rebzeilen; sie ernten in Minuten, wozu Erntehelfer am Hang einen halben Tag brauchen. Damit sich der Arbeitseinsatz im Steilen lohnt, müsste eine Flasche mindestens zehn, besser zwölf Euro kosten. Mit Trollinger ist das nicht zu schaffen. Um die klimatischen Vorteile der Steillagen zu nutzen, will die Genossenschaft den Anbau von Cabernet, Syrah und Chardonnay forcieren. Aber findet sie dafür einen Markt?

Nicht nur der Trollinger würde zurückgedrängt, auch der immer besser werdende Lemberger. Dessen Potenzial für die Steillagen, monieren Kritiker, sei noch längst nicht ausgeschöpft.

Künftig sind Weintrinker, Tourismus, Politik und Gesellschaft stärker gefordert, wenn es um die Erhaltung einer historisch gewachsenen Kulturlandschaft geht, sagt Weinexpertin Mühlhäuser. Gerade der Weintourismus hat stark zugenommen. Ohne die ästhetisch reizvolle Kulisse bewirtschafteter Steillagen wird er kaum weiterwachsen. Dann verbuschen die Hänge, der Charme der Landschaft geht verloren.

Das haben auch die Kommunen am Neckar begriffen. Aufgeschreckt vom drohenden Verfall der heimatlichen Hänge haben sich, mit Anschub der Landesregierung, zehn Gemeinden zur Rettung der Steillagen in den Neckarschleifen zusammengetan. Auch in Regionen wie Mosel und Mittelrhein formieren sich Steillagen-Initiativen.

Inzwischen ist der Trollinger vom Journalistentrupp komplett gelesen. Appetitlich liegen die Trauben in drei grünen Containern. Serviert wird Grillwurst zum gut gekühlten Roten. Zwei der Reporter sind allerdings ein wenig fahl im Gesicht. Sie haben als Buttenträger die Weintrauben zum Trecker transportiert. Immer 402 Treppen hoch und runter. Mit einem Zentner Trauben auf dem Rücken ist das ein gewichtiger Fitnesstest.

Der Weinerlebnisführer lächelt, und der Himmel, so scheint’s, ist noch ein wenig blauer geworden.

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