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1. FC Union: Die Veredelung der Eisernen

In der DDR-Oberliga war der 1. FC Union der Außenseiter. Union-Fan Lothar Heinke über den Berliner Zweitliga-Aufsteiger, einen ganz besonderen Klub.

Noch immer kullert der Fan des 1. FC Union ungläubig mit den Augen, wenn er auf die Tabelle der Dritten Liga guckt: Ganz oben, uneinholbar, sind seine bislang unaufsteigbaren Jungs. Und ziemlich weit darunter quälen sich all die klangvollen, in DDR- Oberligazeiten so siegreichen Mannschaften, gegen die Union in seinem früheren Leben meist den Kürzeren zog: die Blumenstädter aus Erfurt, die Wismut-Kumpel aus Aue, vor allem aber die Ex-Meister Dynamo Dresdens und die stolzen Jenenser mit ihrem Fußballgott Peter Ducke. Lang ist’s her. Eine Ewigkeit. Doch diesmal werden die Letzten die Ersten sein.

Seit Wochen genießt Union den Platz ganz oben und damit einen Zustand, den der wahre Fan der einstigen Fahrstuhlmannschaft zwar für den Moment genießt, aber doch ziemlich unheimlich findet. In der Union-Homepage pflegen die Fans einen ungeschminkten Meinungsaustausch, hier räsonniert einer: „Is doch allet nich mehr uniontypisch. Keen Zittern und Bangen bis zum letzten Spieltag. Wird doch langweilig dit Janze – und das schon wochenlang ...“ Der Unioner ist eben ein Masochist von Geburt. Seine Leidensfähigkeit ist ebenso ausgeprägt wie Vereinstreue, Solidarität und Selbstironie. „Gestorben sind wir schon 1000 Tode, doch lebendiger wie kaum zuvor“, schreibt einer im Internet. „Fußball kann schön sein, Union aber auch.“

Das gilt seit fast 100 Jahren. „Union Oberschöneweide“ hießen sie damals, als sich im Berliner Südosten große Industriebetriebe etabliert hatten, aus denen die Spieler in den blauen Schlosserklamotten und die Zuschauer kamen. Zur Einweihung des Stadions An der Alten Försterei am 7. August 1920 kam der Deutsche Meister 1. FC Nürnberg und siegte 2:1. Union spielte im Berliner Fußball immer seine Rolle, zum Endspiel um die Meisterschaft 1923 pilgerten 64 000 Zuschauer ins ausverkaufte Grunewald-Stadion. 3:0 siegte der HSV, aber die Anfeuerung für die Berliner war ungebrochen. Zu jener Zeit wurde ein Ruf geboren, mit dem die Wuhlheider bis heute überall von ihren Fans lautstark nach vorn getrieben werden: Eisern Union!

Wichtige Vereinsdaten füllen mittlerweile Bücher, Filme und ein Theaterstück: 1950 ging das fast komplette Team nach West-Berlin und spielte als Union 06 im Poststadion. Nach dem Mauerbau war man wieder in seiner Heimat in Köpenick, wurde 1966 als 1. FC Union neu gegründet, gewann 1968 mit einem Sieg über Jena den FDGB-Pokal, konnte aber nicht am Europacup teilnehmen, weil die Russen in die CSSR einmarschiert waren und die Vereine westlicher Länder nicht gegen Ostblock-Mannschaften spielen wollten. Union gehörte in der DDR-Oberliga zu den Underdogs, bejubelte 1988 den Nicht-Abstieg in Karl-Marx-Stadt wie eine Meisterschaft. Übermächtig war der Lokalrivale BFC Dynamo mit Stasi-Boss Erich Mielke an der Spitze – und wenn David gegen Goliath im Stadion der Weltjugend antrat, fühlte sich Union wie der moralische Sieger, selbst nach einer 7:1-Klatsche zogen die Fans erhobenen Hauptes, trotzig und mit wehenden Fahnen durch die Friedrichstraße. Die Stasi sortierte Unioner in die Kategorie „feindlich-negativ, rowdyhaft“ ein und erspähte einen „Hang zu Dekadenz und Negativismus“. So etwas stählt, dagegen half nur witzige Verachtung: Wenn der Gegner beim Freistoß vor dem Tor eine Mauer bildete, rief der Union-Block: „Die Mauer muss weg!“

Das ist alles Geschichte, aber irgendwie spielt sie noch immer mit: Ausgerechnet im einstigen BFC-Stadion feiert Union nun seine Erfolge. Der neue Meister der Dritten Liga bedankt sich bei seinen Fans, bei dem professionell geführten Verein und vor allem beim Trainer Uwe Neuhaus. Der hat diese Mannschaft, die aus der Hölle der Oberliga kam, ins Glück geführt, „immer weiter, ganz nach vorn“, wie Nina Hagen seit zehn Jahren in Unions Hymne singt. Die Feiern sind kurz. Am 8. Juli zur Stadionweihe kommt Hertha. Und dann beginnt wieder der Ernst des eisernen Lebens.

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