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© dpa

22 Fußball-Fans sterben: Tödliche Feier in Abidjan

Fußballfans bejubeln den Sieg in einem Länderspiel in Abidjan, Metropole der Elfenbeinküste – und merken erst später, dass es viele Tote und Verletzte gab.

Als das Spiel vorbei war, redeten alle von Didier Drogbas zweitem Tor. Mit welcher Kunst sich der Kapitän der ivorischen Nationalmannschaft den Ball mit Brust und Kopf selbst vorgelegt und ihn dann mit links ins Tor geschossen hatte. „C’est la Drogbacité, la grande art“ – die große Drogba-Kunst und die anstehende Feier waren das Gesprächsthema. Dass sich während dem WM-Qualifikationsspiel der Elfenbeinküste gegen Malawi vor und im Stadion Felix-Houphouet-Boigny die größte Tragödie in der Sportgeschichte des Landes zugetragen hatte, wussten die wenigsten, als sie nach Hause gingen.

Erst als der Innenminister in den Abendnachrichten verkündete, dass vor und während des Spiels Menschen gestorben waren und viele verletzt wurden, änderte sich die Stimmung in der ivorischen Sechs-Millionen-Metropole. Die ausgelassene Freude über den 5:0-Erfolg wandelte sich in tiefe Trauer. Mindestens 22 Tote und mehr als 130 Verletzte meldeten die Behörden.

Schon ab 14 Uhr, drei Stunden vor dem Beginn des Spiels, war das Stadion mit einer offiziellen Kapazität von 35 000 mit etwa 50 000 Zuschauern gefüllt. Sie tanzten ausgelassen in der Mittagshitze und warteten darauf, dass ihre Helden das Spielfeld betreten würden. Schon zu diesem Zeitpunkt wurden leblose Körper von der Tribüne auf die Leichtathletikbahn des Stadions getragen und aus dem Stadion gefahren. Ob sie unter der Mittagshitze bewusstlos zusammengebrochen seien, fragte man sich – und ließ sich nicht weiter davon stören.

Die Zuschauer auf den Rängen konnten nicht ahnen, was sich vor dem Stadion abspielte. Menschenmassen mit Tickets drängten in das Stadion und konnten vom Militär nicht aufgehalten werden. Unter dem Druck der Menge stürzte eine Mauer ein und begrub mehr als ein Dutzend Menschen unter sich. Die Stimmung im Stadion war währenddessen unverändert – dass die Menschen, die aus den Rängen auf die Leichtathletikbahn getragen wurden, tot oder schwer verletzt sein konnten, war unvorstellbar.

Eine Stunde später, immer noch zwei Stunden vor Spielbeginn, drang der Geruch von Tränengas in das Stadion. Ein Polizist hatte offenbar eine Tränengasgranate geworfen. Von der Kurve A stürzten sich Menschen über die sechs Meter hohe Absperrung von der Tribüne auf das Spielfeld und wälzten sich auf dem Boden. Einige blieben dort liegen und wurden weggetragen, andere wurden von Sicherheitskräften zurück auf die Tribüne getrieben. Es ließ sich nicht sagen, ob sie tatsächlich litten, oder ob das alles Teil der ivorischen Fußballeuphorie war. Später wurde bekannt, dass in dieser Massenpanik mehrere Personen zerdrückt oder zu Tode getreten wurden.

„Football facteur de la paix“, Fußball als Faktor des Friedens, stand weiterhin auf der Anzeigetafel und die Zuschauer tanzten zu Liedern, die in der Mehrzahl von Didier Drogba und seinen großen Taten handeln. Der Stürmer vom FC Chelsea ist für die Menschen in der Elfenbeinküste nicht nur Sinnbild für Hoffnung und die Möglichkeit, der Armut in Richtung Europa zu entkommen. Er ist auch ein Friedensbringer in Zeiten, da die Politiker das einst relativ wohlhabende Land in den Ruin gleiten lassen.

Mit knapp 15 Minuten Verspätung wurde das Spiel trotz der tödlichen Tragödie angepfiffen, nach 26 Sekunden fiel bereits das erste Tor durch Romaric. Vier weitere Tore folgten, um die Menschen zufrieden nach Hause gehen zu lassen. Zunächst.

Am Tag danach fällt es in Abidjan schwer, einem der vielen Gerüchte zu glauben, die sich um die Tragödie ranken. Es wird von 200.000 verkauften Tickets gesprochen und davon, dass sich das Militär an den Eingängen gegen Geld bestechen ließ und somit Leute mit Karten vor verschlossenen Türen standen. „Wir glauben euch gar nichts mehr, nur für ein Fußballticket lasst ihr die Menschen hier sterben“, empört sich einer der Zuschauer, der die Erklärungen und Beteuerungen des Präsidenten der FIF, des ivorischen Fußballverbandes, im Fernsehen verfolgte. Jacques Anouma ist bekannt dafür, ein enger Freund des Präsidenten Laurent Gbagbo zu sein, der das Land seit dem Jahr 2000 ohne Wahlen regiert.

„Und warum schmeißen die bei dieser Hitze mit Tränengas um sich?“ fragt sich ein anderer Abidjaner am nächsten Morgen vor einem der Zeitungsstände. Mit dem Militär in Afrika sei es immer dasselbe, sagt er, und schüttelt den Kopf. Sein Blick schweift über die Titel der lokalen Zeitungen: „Schwarzer Sonntag“, „Blutiger Sieg“ und „Nationaler Schmerz“ steht dort über das Drama geschrieben.

So sehr wie der Fußball der Elfenbeinküste einst Freude und Hoffnung bescherte, hat er das Land jetzt in tiefe Trauer gestürzt.

Moses März[Abidjan]

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