zum Hauptinhalt

Sport: „36 WM-Teilnehmer? Da gibt es keine Zauberformel“

Fifa-Präsident Blatter über die Weltmeisterschaft in Deutschland und die Glaubwürdigkeit seines Verbandes

Herr Blatter, vor einem Jahr haben Sie die erste WM in Asien noch als die Weltmeisterschaft des Lächelns gefeiert. Mittlerweile aber ist dieser Erdteil genauso weit weg wie früher – von wegen fernöstliche Aufbruchstimmung oder dass im letzten Sommer ein ganzer Fußballkontinent entdeckt wurde.

Neulich habe ich auf dem Flughafen Zürich eine chinesische Delegation getroffen. Dabei wollten wir uns über die Vorbereitung der Olympischen Spiele in Peking unterhalten. Doch die Chinesen wollten über das eigentliche Thema gar nicht diskutieren. Die hatten nur Fußball im Kopf. „Helfen Sie uns, Herr Blatter, dass wir zur WM nach Deutschland kommen. Unsere Nationalmannschaft hat in den letzten drei Spielen kein Tor mehr geschossen.“ Hier ist das vermeintliche FußballEstablishment gefragt, aber nicht nur die nationalen Verbände, sondern vor allem die Klubs aus Europa. Wir dürfen es nicht bei dieser einmaligen Beziehung belassen, dass wir sagen: Es war ein wunderschöner Sommer mit wunderbaren Menschen in Japan und Südkorea. Und das war’s dann.

US-Präsident Bush rechnet neben dem Irak auch den Iran und Nordkorea zur Achse des Bösen, ausgerechnet jene Länder, die bis zur ersten WM in Asien im vergangenen Jahr Asiens erfolgreichste Fußball-Repräsentanten ihres Verbandes waren.

Ich glaube, die Iraner lassen sich durch solche Zitate nicht beeindrucken. Das Leben und der Fußball dort gehen ganz normal weiter. Ich werde im Juni Teheran besuchen, und ich kann nur sagen, dass die Iraner im Bereich der Asiatischen Konföderation immer sehr gern gesehene Gäste waren. Ganz anders verhält es sich mit Nordkorea. Ich war ja in Pjöngjang, ich habe sie eingeladen zum Fifa-Kongress nach Seoul. Aber die wollen ja gar nicht zurück in die internationale Fußball-Familie. Solange sich das politische System Nordkoreas nicht öffnet, werden auch die Fußballer nicht hinter diesem Eisernen Vorhang hervorkommen.

Dann muss man den Fußball eben übers Fernsehen dorthin bringen – steht die Fifa den Dritte-Welt-Ländern gegenüber da nicht in der Pflicht?

Natürlich. Es darf uns nicht nur darum gehen, dass wir durch den Verkauf der Fernsehrechte möglichst viel Geld einnehmen, um dieses Geld unter den teilnehmenden Verbänden verteilen zu können – wir müssen es möglich machen, dass praktisch alle Menschen auf dem Globus die Spiele eines WM-Turniers vorm Fernseher verfolgen können. Allein in Indien wohnen eine Milliarde Menschen. Dass denen die Ware Fußball zugänglich gemacht wird, ist doch wichtiger, als wenn sich irgendein Fernsehkanal die WM-Spiele für seine zwei oder drei Millionen Abonnenten kauft. Ich sehe jedenfalls, falls nicht irgendeine Katastrophe passiert, bei der WM 2006 überall in der Welt die Sonne aufgehen. Die Fernseh-Apparate werden strahlen – auch zu bislang noch ungewohnten Sendezeiten.

Werden die Zuschauer dann 32 oder 36 Teams beim Kampf um den Titel verfolgen?

Man kann mit 36 Mannschaften spielen, aber dann ist unser System nicht mehr länger transparent. Wir müssen alle begreifen, dass unser Produkt Fußball-WM nur dann ein so erstklassiges Produkt bleibt, wenn es übersichtlich funktioniert und es keine Möglichkeit zu Mauscheleien gibt. Als wir früher mit 24 Teams gespielt haben, mussten wir ja beim Einstein-Institut anrufen, damit man uns dort die mathematischen Formeln zur Ermittlung der besten Gruppendritten errechnet.

Die Milliarden vorm Fernseher und die Millionen in den Stadien wollen doch immer wissen, wie es weitergeht …

Genau, und mit 36 Teilnehmern findet man keine Zauberformel der Übersichtlichkeit und demnach keine machbare Lösung.

Vom Vorschlag der Südamerikaner, die WM auf 36 Teilnehmer aufzustocken, würden ja bis auf Afrika alle Konföderationen profitieren: Europa bekäme zwei zusätzliche Plätze; Südamerika wäre mit fünf Teams dabei; für Asien und die Konföderation aus Nord- und Mittelamerika wäre jeweils ein zusätzlicher halber Platz frei. Südamerikas Verbandspräsident Grondona und sein europäischer Kollege Johansson kalkulieren bei der Fifa-Exekutive bereits mit einer klaren Mehrheit.

Ich habe versucht, Grondona davon zu überzeugen, dass eine WM mit 36 Teams nicht richtig funktionieren kann. Ich bin mir ganz sicher, dass auch Johansson meine Meinung teilt und im Sinne des Fußballs denkt. Und ich werde mit den Erklärungen des deutschen Organisationskomitees argumentieren. Die wollen eine 32er-Lösung und können zudem auf die Verträge verweisen, die 1996 und 1997 von der Fifa in dieser Form unterzeichnet worden sind. Generell aber müssen die Exekutivmitglieder sich klar werden, dass die WM unser Flaggschiff ist und es nicht sein darf, dass dort ein jeder seine eigenen Segel setzen darf, die am Ende das Boot auf eine schräge Bahn bringen.

Dennoch müssen Sie noch verdammt viel Überzeugungsarbeit leisten, um am 28. Juni in Paris eine Kampfabstimmung zu verhindern.

Es wird keine Kampfabstimmung geben. Ich werde an alle appellieren, dass wir unsere Glaubwürdigkeit nicht verlieren und das weltgrößte Fußballfest seine Glaubwürdigkeit nicht verlieren darf. Ich glaube, dass am Ende die Einsicht, das Verständnis und die Solidarität über regionale Interessen siegen werden. Ich bin überzeugt, dass wir den Modus der WM beibehalten werden. Das wird mein Kampf sein in den nächsten Tagen.

Das Gespräch führte Martin Hägele

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false