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Reihenweise Problemfälle. Bastian Schweinsteiger hangelt sich von Reha zu Verletzung und umgekehrt, André Schürrle ist außer Form und Mario Götze spielt im Verein fast nie. Nur auf Thomas Müller ist wie immer Verlass.

© imago/Matthias Koch

Update

80 Tage vor dem Turnierstart: Nationalmannschaft: Bastian Schweinsteiger droht EM-Aus

Bastian Schweinsteiger reist verletzt von der Nationalelf ab, viele seiner Kollegen sind außer Form. 80 Tage vor dem EM-Start hat Bundestrainer Joachim so einige Baustellen.

Das Gespräch fand am frühen Morgen statt, nach wenigen Stunden Schlaf und mutmaßlich unter dem Einfluss von ausreichend Restalkohol. Bundestrainer Joachim Löw hegt trotzdem keine Zweifel an der Seriosität dessen, was er damals, am Morgen nach dem WM-Finale in Rio, mit Philipp Lahm besprochen hat – dazu kennt er Lahm und dessen Prinzipienfestigkeit einfach zu gut. „Nee, ist keine Option“, antwortete Löw am Mittwoch auf die Frage, ob er nicht darüber nachdenke, den ehemaligen Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft zum Rücktritt vom Rücktritt zu bewegen. Daran hat auch das Ereignis vom Tag zuvor nichts geändert.

Es war das erste Training der Nationalmannschaft in Berlin und die Einheit schon fast beendet, als sich Bastian Schweinsteiger, von einem Gegenspieler bedrängt, das rechte Knie verdrehte. Lahms Nachfolger als Kapitän reiste am Mittwoch nach München zum Arzt seines Vertrauens. Eine MRT-Untersuchung ergab, dass sich Schweinsteiger einen Innenband-Teilriss zugezogen hat. Für die beiden anstehenden Testspiele gegen England (Samstag in Berlin) und Italien (Dienstag in München) fällt er damit aus; seine Teilnahme an der Europameisterschaft in Frankreich ist zumindest fraglich. „Ich habe Bastian gesagt, dass ich ihn für die EM keineswegs abschreiben werde“, sagte Bundestrainer Joachim Löw, „das Turnier findet noch nicht morgen statt, es ist noch Zeit.“ Der Kapitän der Nationalmannschaft hat die gleiche Verletzung am selben Knie, die ihn gerade erst für zwei Monate außer Gefecht gesetzt hatte. „Ich muss die Situation annehmen, wie sie ist“, sagt Schweinsteiger, „und das werde ich auch.“

Schweinsteiger hangelt sich von Reha zu Verletzung und umgekehrt

Bastian Schweinsteiger ist der Schmerzensmann des deutschen Fußballs. Immer mehr verfestigt sich der Eindruck, dass sich der 31-Jährige nur noch von Verletzung zu Reha hangelt und von Reha zu Verletzung; dass er zwischendurch im günstigsten Fall ein paar Spiele bestreitet, aber nie mehr sein optimales Leistungsniveau und den nötigen Fitnesszustand erreicht. Der „Independent“ hatte zuletzt über den Mittelfeldspieler von Manchester United geätzt: „Nach seinem Gewicht zu urteilen, wird er mit Kuchen entlohnt.“ Seit seiner jüngsten Rückkehr auf den Fußballplatz kam Schweinsteiger zu gerade drei Einsätzen, bei denen er jeweils um die 70. Minute eingewechselt wurde.

Der Kapitän fügt sich damit in eine Reihe von Problemfällen, mit denen sich Joachim Löw exakt 80 Tage vor dem ersten EM-Spiel gegen die Ukraine herumschlagen muss. Die beiden Innenverteidiger Jerome Boateng und Benedikt Höwedes sind immer noch verletzt, André Schürrle ist spektakulär außer Form, Mario Götze sitzt bei den Bayern nur auf der Bank, und Max Kruse hat sich den guten Ratschlägen des Bundestrainers seinen Lebenswandel betreffend derart beharrlich widersetzt, „dass er jetzt schon auch mal einen Denkzettel brauchte“, wie Löw sagte. Seine Suspendierung für die beiden Testspiele sind laut Löw zwar „nicht gleichbedeutend mit dem Aus für die EM“; Kruses Chancen sind allerdings geringer denn je.

Der Stürmer vom VfL Wolfsburg, der bisher in knapp drei Jahren 14 Länderspiele bestritten hat, zählte ohnehin noch nie zu Löws erklärten Favoriten. Bei anderen Spielern war er nachsichtiger; Formkrisen im Verein, mangelnde Spielpraxis – das hat ihn nie nachhaltig irritiert. Auch deshalb können André Schürrle und Lukas Podolski noch recht beruhigt sein, was ihre EM-Chancen angeht; Mario Götze erst recht, obwohl er zuletzt die ganze Härte seines Vereinstrainers Pep Guardiola zu spüren bekommen hat. Acht Mal stand Götze nach seiner Verletzung bei den Bayern im Kader, sieben Mal blieb er 90 Minuten auf der Bank sitzen, so dass längst darüber diskutiert wird, ob der 23-Jährige schon im Sommer den Verein wechseln und möglicherweise zu Borussia Dortmund zurückkehren wird.

Im Fall Mario Götze wäre mehr Nüchternheit angebracht

Die Aufregung um Götze liegt in der Natur der Sache. Der Junge gilt seit Jahren als eines der größten Talente des deutschen Fußballs. Dass er die Nationalmannschaft im Juli 2014 zum WM-Titel geschossen hat, hat das Interesse zusätzlich befeuert. Dabei wäre ein bisschen mehr Nüchternheit manchmal gar nicht so schlecht, wenn es um Götze geht. Bundestrainer Löw hat am Mittwoch, quer zur öffentlichen Erregung, zugegeben, dass er die Entscheidungen seines Kollegen Guardiola durchaus nachvollziehen könne. Die ersten beiden Trainingseinheiten in Berlin hätten gezeigt, dass Götze, „was seine Fitness und seine Form betrifft, noch nicht da ist, wo er vor seiner Verletzung war“.

Löws Problem ist, dass Götze damit kein Alleinstellungsmerkmal besitzt. „Es ist sicher keine leichte Zeit“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, über die Form des Teams. Aber das Schöne an der Zeit ist, dass sie sich wandelt. Götze muss nicht jetzt in Topform sein, sondern Mitte Juni. „Bei der EM werde ich auf ihn zählen“, sagt Löw, der ähnliche Diskussionen schon aus der Vergangenheit kennt. Vor zwei Jahren, vor der WM in Brasilien, gab es sogar noch in der unmittelbaren Turniervorbereitung heftige Debatten um die Form einiger Nationalspieler. Unter anderem wurde die berechtigte Frage gestellt, ob Bastian Schweinsteiger der Mannschaft würde helfen können. Im Finale hat er diese Frage abschließend beantwortet.

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