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Sport: Abend der Versöhnung

Der überragende Figo lässt alten Streit vergessen

Lissabon - Luis Figo ist ein Ästhet, und deswegen schaut er ein wenig angewidert auf das blecherne Ungetüm in seinen Händen. Der Pokal für den „Man of the match“ eignet sich als Vase für einen hübschen Strauß Brennnesseln, und Figo lässt sie demonstrativ stehen, als er zurück in die Kabine schleicht. Er ist verschwitzt und müde und wirkt älter, als er mit seinen 31 Jahren ist. Es liegt ein hartes Stück Arbeit hinter Luis Figo, er hat an diesem Abend seine Mannschaft ins EM-Finale geführt und sich dabei auch noch versöhnt mit den portugiesischen Fußballfans, ja mit dem ganzen Land.

Vergessen ist der Streit um seine Auswechslung im Viertelfinale und das trotzige Verweilen in der Kabine, während seine Kollegen den Sieg im Elfmeterschießen über England feierten. Figo hat beim 2:1-Sieg gegen die Niederlande ein überragendes Spiel gemacht, sein bestes seit den großen Tagen bei der EM vor vier Jahren in Holland und Belgien. Die Fans aber reagierten zunächst abwartend, der Beifall beim Verlesen der Mannschaftsaufstellung fiel spärlich aus. Doch Luis Figo zeigte es ihnen an diesem Abend. Er hat seine Lektion gelernt. Figo gab nicht mehr den Regisseur, er fügte sich in die Rolle, die Johan Cruyff einst beim FC Barcelona für ihn kreiert hat: die des unberechenbaren Flügelstürmers. Figo stürmte links, Figo stürmte rechts, auf der einen Seite lief er Phillip Cocu davon, auf der anderen Giovanni van Bronckhorst. Jeder gefährliche Angriff lief über den portugiesischen Kapitän.

Inszeniert wurden diese Angriffe zumeist von Deco, dem gebürtigen Brasilianer, gegen dessen Einbürgerung sich der Patriot Figo so vehement gewehrt hatte. Am Mittwoch ordnete er sich bereitwillig unter, er akzeptiert Deco als Chef im Mittelfeld. Das portugiesische Spiel profitierte von dieser neuen Rollenaufteilung, auch wenn es mitunter kuriose Züge annahm. In der 25. Minute lief Figo zur Ausführung eines Eckballs, doch Deco war schon vor ihm da und winkte ihn zur Seite. Dann flankte er auf den Kopf von Cristiano Ronaldo, und der vollendete zum 1:0. Luiz Felipe Scolari wurde später gefragt, ob Decos Geste den alten Streit mit Figo neu entfacht habe, aber der Trainer wollte nichts wissen von einem Streit: „Die beiden haben manchmal unterschiedliche Meinungen, aber sie respektieren sich. Glauben Sie mir, Figo und Deco sind Freunde.“

Figo arbeitet weiter, nach einem furiosen Solo auf der rechten Seite traf er mit einem Drehschuss den Pfosten, und spätestens da hatte er die Fans zurückgewonnen. „Figo, Figo“, riefen sie im Estadio José Alvalade, der Heimat von Figos früherem Klub Sporting Lissabon. Die Kraft reichte für eine gute Stunde, dann wurden die Pausen länger, Figo blieb öfter an der Mittellinie stehen, und man fragte sich, ob Scolari ihn wieder herausnehmen würde. Doch der Trainer spürte die Größe des Augenblicks, er ließ Figo auf dem Platz. Zu seiner Entlastung kam der defensive Mittelfeldspieler Petit. Er nahm dem Star die Laufarbeit ab.

Figo dankte es ihm und der Mannschaft: erst mit einem Pass auf Deco, der beinahe das 3:1 erzielte. Später mit einer cleveren Spielverzögerung, die ihm die Gelbe Karte einbrachte, Figo winkte freundlich zum Schiedsrichter. In der Nachspielzeit grätschte er einen Holländer um, und dann war Schluss. Figo lag auf dem Rücken, entkräftet, er wollte gar nicht mehr aufstehen. Rui Costa riss ihn hoch, sein alter Freund aus der Goldenen Generation, mit dem er auf den Tag genau vor 13 Jahren Junioren-Weltmeister wurde. Minutenlang umarmten sie sich, dann ging Figo in die Kabine, begleitet von den Ovationen der Fans. „Ich kann nicht beschreiben, was in mir vorgeht, wir haben Großartiges für unser Land geleistet“, sagte er später. „Ganz Portugal kann stolz auf diese Mannschaft sein. Es war ein fantastisches Spiel, und es wird noch eine fantastische Nacht.“

Ein fantastischer Morgen folgt. Acht überregionale Tageszeitungen gibt es in Portugal, vier von ihnen machen am Donnerstag ihre Titelseite mit einem Bild von Figo auf, nicht nur Revolverblätter wie „24 Horas“, sondern auch seriöse Blätter wie „Diario de Noticias“. Die Portugiesen sind sich einig: Luis Figo ist wieder einer von ihnen.

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