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Sport: Abpfiff um Mitternacht

28 der 64 WM-Spiele beginnen erst um 21 Uhr – Fußballfans protestieren

Berlin - Es ist 18.36 Uhr, als Schiedsrichter William Ling im Berner Wankdorfstadion in seine Pfeife bläst und damit das WM-Endspiel zwischen Deutschland und Ungarn beendet. Vor den Radiogeräten in Deutschlands Wohnzimmern und Gaststätten sitzen Millionen und lauschen der Stimme des Reporters Herbert Zimmermann: „Aus! Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!“ Unter ihnen sind viele Kinder, für die dieser Sonntag, der 4. Juli 1954, der Beginn ihrer Fußball-Leidenschaft ist.

Im Jahr 2006 wird kein WM-Finale mehr um 17 Uhr angepfiffen, schon gar nicht wie damals sieben Minuten zu früh. Das Finale in Berlin am 9. Juli beginnt um 20 Uhr, die Halbfinals starten erst um 21 Uhr. Wenn es Verlängerung und Elfmeterschießen geben sollte, wären die Spiele nicht vor Mitternacht zu Ende. Auch die Eröffnungsfeier am 8. Juni im Berliner Olympiastadion ist erst für 22 Uhr angesetzt. 28 der 64 WM-Spiele beginnen um neun. Zahlreiche Familien werden die späten Anfangszeiten vor die schwierige Frage stellen: Sollen wir unserem Sohn oder unserer Tochter erlauben, dienstags ein WM-Halbfinale Deutschland gegen Argentinien zu sehen, wenn sie am nächsten Morgen zur Schule müssen?

Die Spiele der Champions League beginnen schon seit Jahren um 20.45 Uhr, auch beim Confed-Cup war das die übliche Anstoßzeit. Doch jetzt regt sich Protest. „Die Zukunft unseres Sports liegt in der Jugend von heute – um sie für den Fußball begeistern zu können, müssen die Spiele so angesetzt sein, dass Kinder sie auch an einem Wochentag im Fernsehen verfolgen können“, schrieb Gerhard Mayer-Vorfelder, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), kürzlich in einem Brief an den Generalsekretär des Weltverbands Fifa, Urs Linsi.

Auch Fanvertreter kritisieren die späten Anstoßzeiten. „Es gibt keinen sportlichen Grund, ein Spiel erst um 20.45 Uhr anzupfeifen“, sagt Johannes Stender vom Bündnis aktiver Fußballfans. Die späten Zeiten seien nicht nur für die Kinder vor dem Fernseher, auch für Jugendliche im Stadion problematisch. „Wenn man nach dem Spiel noch ein oder zwei Stunden für den Heimweg hinzurechnet, wird es für jüngere Fans zu spät werden.“ Auch die Zeitungsredaktionen stellt der späte Beginn vor Probleme. Viele haben gegen 23 Uhr oder früher Redaktionsschluss.

Jens Grittner, Sprecher des WM-Organisationskomitees hält die Kritik für verständlich, allerdings handele es sich eben um eine internationale Veranstaltung. „Wir müssen uns davon trennen, alles durch die deutsche Brille zu betrachten“, sagt Grittner. Insbesondere die Südamerikaner hätten sich späte Anstoßzeiten gewünscht, damit die Spiele dort am Nachmittag gezeigt werden können. In der Vorrunde, in der es drei Spiele am Tag gibt, sei es ohnehin nicht anders zu organisieren, als um 15, 18 und 21 Uhr zu beginnen.

Fanvertreter Stender glaubt indes, dass die Anstoßzeiten am Abend ein Zugeständnis an das Fernsehen sind. „Die Sender versuchen, für sich das Beste herauszuholen“, sagt Stender. In der Tat liegt die zuschauerstärkste Zeit im deutschen Fernsehen zwischen 20.30 und 22.30 Uhr. Deshalb sind die Sender daran interessiert, die Spiele in dieser Zeit stattfinden zu lassen. „Es gibt aber Bemühungen, in Zukunft nicht zu spät anzufangen“, sagt ein ZDF-Sprecher.

Zumindest das DFB-Pokalfinale, das in diesem Jahr ebenfalls erst um 20.45 Uhr begann, soll in der neuen Saison früher angepfiffen werden. Für die WM kommt Mayer-Vorfelders Vorstoß allerdings zu spät. Die Anstoßzeiten werden sich nicht mehr ändern. Hoffnung gibt es für Schüler in Nordrhein-Westfalen. Dort beginnen die Sommerferien schon Ende Juni.

Steffen Hudemann

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