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Sport: Abschied vom König

Garry Kasparow beendet seine Schach-Karriere – er will Politiker werden

Bremen - Als der Bauer von h7 nach h6 wanderte, wusste wohl nur Garry Kasparow selbst, dass es sein letzter Zug war. Wenige Minuten später wusste es die ganze Welt. „Ich habe heute meine letzte Profipartie gespielt“, verkündete Kasparow, der seit über 20 Jahren die Nummer eins der Schachwelt war. Dass der 41-jährige Russe seine letzte Partie am Donnerstagabend in Linares (Spanien) gegen den Bulgaren Wesselin Topalow verloren hatte und damit den Turniersieg noch mit diesem teilen musste, geriet angesichts der Tragweite seiner Ankündigung völlig in den Hintergrund.

Er habe alles erreicht im Schach und blicke stolz auf seine Karriere zurück, sagte Kasparow. Mit Ausschlag gebend für seinen Entschluss, den er sich schon vor einigen Wochen überlegt habe, sei das Verhalten des Weltschachbundes (Fide) gewesen, der wiederholt WM-Vereinigungskämpfe verschoben oder abgesagt hatte. Er werde künftig höchstens noch zum Spaß spielen, beispielsweise bei Schnellschachturnieren.

Die Worte des Abschieds waren auch für Kasparows Mutter Clara ein bewegender Moment. Wie so oft begleitete sie ihren Sohn auch nach Linares. Sie habe ihn, sagte Kasparow einmal, zum Mittelpunkt ihres Lebens gemacht, nachdem sein Vater gestorben war. Damals war Garry sieben Jahre alt. „Clara hauchte mir ihre unbändige Lebenslust ein.“ Und sie erlebte alle Höhen ihres Sohnes aus der Nähe. Etwa wie er in Moskau 1985 Anatoli Karpow 13:11 besiegte und im Alter von 22 Jahren damals jüngster Weltmeister wurde. Allein dreimal verteidigte Kasparow anschließend seinen Titel gegen Karpow, fünfmal insgesamt.

Im Jahr 1990 musste er seine aserbaidschanische Heimatstadt Baku wegen der dort anhaltenden Überfälle auf die armenische Minderheit über Nacht fluchtartig verlassen. Kasparow charterte für seine Verwandten, Freunde und sich ein Flugzeug in Richtung Moskau. Dort lebt er heute als russischer Staatsbürger gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Julia und seinem Sohn Wadim.

Kasparow begeisterte nicht nur durch seine Erfolge, sondern auch durch sein Auftreten: mal mit strahlendem Lächeln, mal mit geheimnisvollen Gebärden. Die Art und Weise, wie er sich mit entschlossenem Blick an den Spieltisch setzte, schien nie allein ein Ausdruck von Konzentration, sondern immer auch Teil einer Inszenierung.

Im Jahr 1993 teilte er die Schachwelt, indem er sich mit seinem damaligen Herausforderer, Nigel Short, von der Fide löste und einen eigenen Verband gründete. Seitdem gibt es stets zwei Weltmeister. Im Jahr 2000 verlor Kasparow schließlich seinen inoffiziellen WM-Titel gegen Wladimir Kramnik. Doch selbst Fide-Präsident Kirsan Iljumschinow räumte ein, Kasparow habe „viel für die Entwicklung des Schachspiels in der Welt getan. Er ist eine historische Größe im Schach.“

Kasparow wird sich nun vermutlich verstärkt seiner Karriere als Politiker widmen. Er hat unter dem Titel „Komitee 2008“ bereits eine Opposition gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin formiert, den er zuletzt wiederholt scharf angriff. „Ich habe alle meine Fähigkeiten fürs Schach eingesetzt“, sagte Kasparow. „Jetzt möchte ich meinen Verstand und mein strategisches Können in der russischen Politik einsetzen.“ Wenn er dabei nur halb so erfolgreich ist wie am Brett, stehen Russland große Zeiten bevor.

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