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Einer wir wir. Jahrgang 1982, cooler Typ, mäßiges Talent als Spieler. Florian Kohfeldt ist ein ganz normaler Bremer aus der Nachbarschaft.

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Abstiegsangst in Bremen: Werder geht mit Florian Kohfeldt durch dick und dünn

Die Bremer wollen den Abstieg abwenden. Doch was passiert, wenn alles so weitergeht wie in der Hinrunde? Ein tiefer Blick in die Werder-Seele.

Bremens Erfahrungen mit der Zweiten Liga sind in etwa so alt wie ich. Als Werder das letzte Mal abgestiegen ist, war meine Mutter mit mir schwanger. Während der Hinrunde der Zweitliga-Saison 1980/81 kam ich dann unweit des Weserstadions zur Welt, am Tag nach einem 1:1 im Spitzenspiel gegen Hertha BSC. Die Torschützen damals: Erwin Kostedde und Walter Gruler.

So steht es in den Archiven, ebenso wie die unglamourösen Namen der übrigen Gegner in dieser Saison: Bocholt, Herford, Lüdenscheid, Erkenschwick. Nach einem Jahr in der 2. Bundesliga Nord ist Werder wieder aufgestiegen.

Kohfeldt ist anders als seine am Ende erfolglosen Vorgänger

Das alles habe ich nachgelesen. Denn meine Erinnerung beginnt erst mit Otto Rehhagel und Rudi Völler. Ich bin aufgewachsen mit Meisterschaften, Pokalsiegen und magischen Europapokalnächten gegen Spartak Moskau, den BFC Berlin und den Maradona-Klub SSC Neapel. Nächte, die man in Bremen „Wunder von der Weser“ taufte und die mir auch deshalb in Erinnerung geblieben sind, weil ich an solchen Abenden länger aufbleiben durfte.

Diese Spiele haben einen gewissen Lokalpatriotismus in meiner Generation geprägt, genau wie einige Jahre später die Ära Thomas Schaaf. Werder war immer etwas, auf das wir als Bremer stolz sein durften. Die finanzielle Lage mag düster sein, die Schulen marode. Aber im Fußball hielten wir mit den Großen mit – und ärgerten manchmal sogar die Bayern.

Das ist lange her. Werder hat inzwischen so einige magere Jahre hinter sich, in denen wir Bremer oft damit gerechnet haben, dass die Mannschaft nun wirklich reif ist für die Zweite Liga. Aber die Mannschaft hat sich – auch mit Hilfe der Fans – immer wieder gerettet.

Vor zwei Jahren kam Florian Kohfeldt um die Ecke

Erst vor gut zwei Jahren wurde es langsam besser. Denn da kam plötzlich Florian Kohfeldt um die Ecke. Einer aus unserer Generation, Jahrgang 1982. Einer, der nicht genug Talent hatte, um es als Spieler in den Profifußball zu schaffen, so wie wir ja auch. Ein cooler Typ, ein ganz normaler Bremer aus der Nachbarschaft. Gut, eigentlich kommt er aus Delmenhorst, aber das ist schon okay.

Denn Kohfeldt ist anders als seine am Ende erfolglosen Vorgänger, das war von Anfang an unser Eindruck. Anders als der Schwabe Robin Dutt weiß er um die Besonderheiten in Bremen. Anders als Viktor Skripnik ist er offen, freundlich und kommunikativ. Und auch Kohfeldts Fußball-Sachverstand schätzen viele in Bremen deutlich höher ein als den von Alexander Nouri.

Deswegen haben wir Bremer uns festgelegt: Kohfeldt soll es sein, ihm vertrauen wir diesen Verein an. Beziehungen mit Trainern sind in Bremen, wenn es gut läuft, fast wie eine Ehe: 14 Jahre mit Otto Rehhagel, 14 Jahre mit Thomas Schaaf. Und jetzt hoffentlich auch mindestens 14 Jahre mit Florian Kohfeldt. So das Gefühl im Sommer.

Die vergangene Saison schien uns Recht zu geben. Werder spielte begeisternden Offensiv-Fußball, Kohfeldt beeindruckte Taktik-Gurus und Fans. Zwar verpasste Werder das Saisonziel Europapokal. Aber es machte wieder Spaß, ins Stadion zu gehen.

Und jetzt das: Platz 17. Nach der schlechtesten Hinrunde der Vereinsgeschichte steht die Mannschaft mit einem Bein in der Zweiten Liga. Die Gründe dafür glauben wir zu kennen: Die unglaubliche Verletztenmisere, zwischenzeitlich fehlte eine komplette Startelf. Die Abwehrschwäche, 41 Gegentore in 17 Spielen. Und seitdem Max Kruse den Klub verlassen hat, fehlt eine Führungsfigur auf dem Platz – ein „Aggressive Leader“, wie man heute sagt, der seine Mitspieler mal wachrüttelt, wenn es nicht läuft.

Und das war in der Hinrunde in vielen Spielen der Fall. Mit jeder Niederlage hat die Mannschaft an Selbstbewusstsein verloren. In den letzten Spielen gegen Mainz und Köln trat sie dann so auf, als hätte sie das Fußballspielen komplett verlernt. Wie ein Abstiegskandidat eben.

Am Trainer liegt es nicht, da sind wir Bremer uns sicher. Schließlich lässt man sich auch nicht gleich nach der ersten Ehekrise scheiden. Statt auf einen Trainerwechsel setzen wir auf … Ja, worauf eigentlich außer auf Hoffnung?

„Wir sind zu gut für den Abstiegskampf.“ Diese Aussage von Davy Klaassen nach dem 12. Spieltag hat sich als fatale Fehleinschätzung erwiesen. Inzwischen gilt sie als symptomatisch dafür, wie naiv der vermeintliche Europapokal-Anwärter in den Abstiegsstrudel geraten ist.

Aber wenn wir ehrlich sind, spukt uns dieser Satz immer noch im Kopf herum. Objektiv wissen wir, dass die Lage ernst ist. Insgeheim gehen wir aber davon aus, dass es so schlimm schon nicht kommen wird, dass in der Rückrunde alles wieder gut wird. So wie man den Rechner einfach noch mal neu hochfährt, wenn die Software spinnt. Reset.

Hat Werder Bremen mal eine Winterpause gebraucht?

Und vielleicht funktioniert es ja so. Werder hat einfach mal eine kleine Winterpause gebraucht, vielleicht noch ein paar Verstärkungen, irgendwann kommen dann die Verletzten zurück und die Mannschaft wird auf wundersame Weise zu alter Stärke zurückfinden. Fußballspielen kann sie ja. Düsseldorf, Paderborn und Köln – Mannschaften dieser Kragenweite müsste Milot Rashica doch eigentlich im Alleingang erledigen.

Im Sommer werden dann alle sagen: Respekt, in Bremen haben sie nicht die Nerven verloren, dem Trainer den Rücken gestärkt, das hat sich ausgezahlt.

Lange habe ich genauso gedacht. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher: Was, wenn das so einfach nicht ist? Wenn sich weiter Spieler verletzen? Wenn die Wintertransfers nicht funktionieren? Und wenn es schon zum Rückrundenauftakt in Düsseldorf eine Niederlage gibt, die das Selbstvertrauen der Mannschaft sofort wieder in sich zusammenfallen lässt? Dann könnte alles so weiterlaufen wie in der Hinrunde.

Vor ein paar Monaten ist mein Sohn geboren. Noch weiß er nichts von Fußball. Sollte er Werder-Fan werden, werde ich ihm womöglich in ein paar Jahren erzählen: Als du ganz klein warst, da hat Werder mal gegen Sandhausen, Aue und den HSV gespielt. Aber das war zum Glück nur für ein Jahr. Denn Werder ist mit Florian Kohfeldt gleich wieder aufgestiegen.

Steffen Hudemann

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