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Sport: Abstimmung mit den Füßen

Ein Schuhstreit im DFB-Team bedrohte das Schweden-Spiel – künftig wollen die Spieler selbst auswählen

Berlin - Am 24. Juni war die Welt noch in Ordnung. Die deutsche Nationalmannschaft bestritt gerade das WM-Achtelfinale gegen Schweden, da musste der Bremer Nationalspieler Torsten Frings seine Fußballschuhe wechseln. Er lief an die Seitenlinie zu Manfred Drexler, dem eigens für die Nationalmannschaft abgestellten Servicemann des Ausrüsters Adidas. Frings bekam neue Schuhe und konnte das Spiel ohne größere Verzögerung fortsetzen. Es blieb die einzige Verschleißmeldung. Insgesamt stellt der Ausrüster acht verschiedene Modelle zur Verfügung, je nach Wunsch der Spieler. Was aber, wenn sich die Wünsche der Nationalspieler grundsätzlich ändern? Jetzt geht es nicht mehr darum, welches Modell von Adidas, sondern ob Adidas überhaupt noch.

Innerhalb der deutschen Nationalmannschaft ist ein handfester Streit um die Wahl des Schuhwerks ausgebrochen. Das ist kein Novum, aber die Diskussion hat einen Tag vor dem Testländerspiel gegen den WM-Achtelfinalgegner Schweden heute in Gelsenkirchen (20.45 Uhr, ARD live) eine neue Dimension erreicht. „Bisher ist noch keiner abgereist“, antwortete Oliver Bierhoff lakonisch auf die Frage, ob Bundestrainer Joachim Löw überhaupt eine Elf zusammenkriegt. Die Mannschaft hatte sich am Montag in noch nie da gewesener Deutlichkeit und Schärfe für eine freie Schuhwahl in der Nationalmannschaft ausgesprochen. Der Mannschaftsrat, vertreten durch Jens Lehmann, Bernd Schneider, Miroslav Klose und Frings trugen das Ansinnen Manager Bierhoff und dem für die Nationalmannschaft noch bis Anfang September zuständigen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder vor.

„Für den Bundestrainer ist es eine schwierige Situation, bisher gab es so etwas noch nicht, dass sich Spieler geweigert haben“, sagte Bierhoff. „Ich bin aber ganz zuversichtlich, dass wir was finden.“ Nach einem weiteren Krisengespräch am Dienstag einigten sich der Mannschaftsrat und die DFB-Führung darauf, gegen Schweden in den Schuhen des offiziellen Ausrüsters zu spielen. Der Mannschaftsrat stellte aber nun ein neues Ultimatum: Am 2. September 2006 im ersten EM-Qualifikationsspiel gegen Irland in Stuttgart soll die freie Schuhwahl realisiert werden.

„Das DFB-Präsidium muss mit Adidas eine Lösung herbeiführen“, sagte Bierhoff gestern. „Wir gehen davon aus, dass die Spieler hinter Joachim Löw stehen.“ Dass die Spieler gedroht hätten, gegen Schweden nicht auflaufen zu wollen, verneinte Bierhoff: „Ein solches Ultimatum hat es nicht gegeben.“ Die Spieler hätten bekundet, dass sie spielen wollen.

Seit Ende der Vierzigerjahre ist das fränkische Unternehmen Ausrüster der Nationalmannschaft. In den vergangenen Jahren drängten aber immer mehr Marken in die Fußballbranche. Allen voran Nike, aber auch Puma engagiert sich wieder stärker in diesem Segment. Der DFB hatte im vergangenen Jahr einen bis Sommer 2006 gültigen Ausrüstervertrag mit Adidas bis 2010 verlängert. Das sorgte für Zündstoff. So unterbreitete der Hersteller Nike dem DFB einen Ausrüstervertrag, der weit höher dotiert war, als jene acht Millionen Euro, die der DFB jährlich von Adidas bekommt. Das Problem damals: Nikes Angebot war an bestimmte Bedingungen geknüpft. So sollte der neue Vertrag schon vor der WM 2006 in Kraft treten.

Derzeit laufen Gespräche zwischen dem DFB und Adidas. Die sportliche Leitung der Nationalmannschaft hat die klare Absicht, das Thema offen anzugehen und zu klären. Von einem Frontenkrieg aber könne keine Rede sein. Die meisten Spieler möchten aus „gesundheitlichen Gründen“ lieber in den Schuhen spielen, in denen sie auch in ihren Vereinen spielen. So die offizielle Version. Im Hintergrund laufen aber ganz unterschiedliche Interessen auf, etwa die der Vereinsmannschaften, die Nationalspieler abstellen, und damit einhergehende finanzielle Erwägungen. Nationalspieler mit Nike- oder Puma-Verträgen fühlten sich in ihren Werbe- und Verdienstmöglichkeiten eingeschränkt. Spieler wie Michael Ballack hingegen könnten mit ihren privaten Adidas-Verträgen zusätzlich viel Geld verdienen. In diesem Jahr erst verlängerte Ballack seinen Exklusivvertrag mit Adidas bis 2012.

Mittlerweile dürfen sich die Spieler der meisten Mannschaften ihre Schuhe selber aussuchen. So tragen die Bremer Nationalspieler Klose, Frings und Tim Borowski Nike, obwohl ihr Klub ansonsten von Kappa ausgerüstet wird. Der Dortmunder Sebastian Kehl trägt Adidasschuhe, während David Odonkor beim Ausrüster seines Vereins, Nike, bleibt. Nur bei Schalke 04 und Bayern München sowie der deutschen und österreichischen Nationalmannschaft herrscht Kleiderzwang. „Ein Wechsel für einzelne Spiele bedeutet nicht nur eine große Umstellung und ein Verletzungsrisiko“, sagt Olaf Markhoff, Sprecher von Nike. Vor allem seien Spieler benachteiligt, die keine individuellen Verträge mit Adidas besitzen. Einem Spieler wie Klose entgingen Millionen Euro an Werbeeinnahmen, da Nike ihn vor der WM nicht in die Kampagnen einbinden durfte, obwohl er den Rest des Jahres für die Firma wirbt.

Gerhard Mayer-Vorfelder sprach vor der WM auch von einer „moralischen Verpflichtung“ der Spieler, dem DFB Einnahmen zu verschaffen, um beispielsweise die Talentförderung bestreiten zu können. „Jeder Spieler hat eine Erklärung unterzeichnet, in der er einverstanden ist, dass in Adidas-Schuhen gespielt wird“, sagte der DFB-Präsident.

Juristen räumten schon damals einer eventuellen Klage gegen das Schuhmonopol gute Erfolgsaussichten ein. Frankreichs Nationalspieler drohten vor der WM 1998 im eigenen Land aus gleichem Grund mit Streik und setzten sich durch.

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