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Lass es raus! Bei Änis Ben-Hatira entlädt sich der Frust der vergangenen Monate.

© MIS

Änis Ben-Hatira: Gut fürs Innenleben

Nach einem halben Jahr stand Änis Ben-Hatira gegen den FC Ingolstadt wieder in Herthas Startelf und erzielte sofort das Tor zum 1:1-Endstand. Viel mehr gelang dem tunesischen Nationalspieler aber nicht.

Wenn Änis Ben-Hatira den Oberkörper nach vorne beugt und den Kopf nach unten nimmt, dann wird es gefährlich. Entweder für den Gegner: Falls der Mittelfeldspieler von Hertha BSC es schafft, mit schnellen Schritten an Verteidigern vorbeizuziehen, zu flanken oder selbst aufs Tor zu schießen. Oder es wird für die eigene Mannschaft gefährlich: Weil Ben-Hatira in einem Knäuel aus Gegenspielern hängenbleibt, den Ball verliert und einen Gegenangriff verursacht. In jedem Fall ist er immer für eine Überraschung gut.

Am Freitagabend beim 1:1 in Ingolstadt war Ben-Hatira jedoch fast berechenbar. Immer wieder scheute er das Risiko, das er sonst meist ohne viel nachzudenken eingeht, passte den Ball quer oder zurück – meist in die Beine des Gegners. Ben-Hatira war deutlich anzumerken, dass es sein erstes Spiel von Beginn an seit fast einem halben Jahr war. „Ich habe versucht, mich anzubieten, Bälle zu fordern“, sagt der 24-Jährige, „aber es war schwierig für mich, nach so langer Pause.“

Mitte Oktober war es, da bekam er bei einem Auswärtsspiel in Bochum einen Tritt auf seinen rechten Knöchel, wie so oft. Die Gegenspieler kennen und suchen Ben-Hatiras Schwachstelle mittlerweile schon gezielt, oft schmerzt das Gelenk nach Spielen, doch diesmal setzte es ihn monatelang außer Gefecht. „Es war eine schwere Zeit, ich musste noch mal von vorne anfangen“, sagt Ben-Hatira. Erst im neuen Jahr konnte er wieder ins Mannschaftstraining einsteigen, doch es war nicht mehr der alte Ben-Hatira, der sich sorglos ins Risiko stürzt. Auf einmal wurde er zum Zögerer auf der Außenbahn. Sein rechter Fuß wird weiter behandelt, regelmäßig absolviert Ben-Hatira Stabilisierungsübungen. Mittlerweile sei am lädierten Sprunggelenk „alles so gut repariert, dass ich spielen kann, ohne Angst zu haben“, sagt der tunesische Nationalspieler, „für meinem Kopf ist alles okay“.

Dennoch ließ ihn Trainer Jos Luhukay lange auf seine Chance warten, wechselte ihn nach der Winterpause nur viermal ein. In der Zwischenzeit überzeugte Nachwuchsmann Nico Schulz auf Linksaußen, Ben-Hatiras Wunschposition zentral offensiv, mit der ihm der Klub im Sommer nach dem Abstieg eine Vertragsverlängerung mit Gehaltsverzicht schmackhaft gemacht hatte, ist inzwischen ohnehin an Ronny vergeben.

Ballverluste en masse und ein fragwürdiges Positionsspiel

Als am wenigsten damit zu rechnen war, war es dann so weit: In Ingolstadt spielte Ben-Hatira, obwohl es nach dem souveränen Sieg gegen Braunschweig eigentlich keinen Grund zum Wechseln gab – außer der knappen Regenerationszeit vielleicht. Luhukay wollte den Außenspielern, die oft elf Kilometer pro Spiel laufen, ein wenig Ruhe gönnen. Mit Ben-Hatira kamen vier weitere Neue ins Team, der Trainer rotierte, vielleicht mit zu viel Umdrehungen. „Uns hat mit den vielen Wechseln anfangs ein wenig die Selbstverständlichkeit gefehlt“, sagte Marcel Ndjeng. Für Ben-Hatira traf das im Speziellen zu: Er lieferte Ballverluste en masse, zeigte ein taktisch fragwürdiges Positionsspiel, arbeitete defensiv nur in ausgewählten Situationen mit. Auf Herthas linker Seite konnte sich der Gegner offensiv richtig austoben. „Er ist unglaublich engagiert und willig, aber vielleicht wollte er manchmal zu viel“, sagte Luhukay. Nach objektiven Maßstäben hätte man Ben-Hatira zur Halbzeit auswechseln müssen. Aber was hätte das psychisch in dem Spieler angerichtet? Wie viele neue schwere Gedanken wären hinzugekommen?

Stattdessen zeigte der Mittelfeldmann, dass er immer noch für das Überraschende zuständig ist, und erzielte aus dem Nichts den Ausgleich, mit seinem rechten Problemfuß. „Er ist ein Spieler, der seine Qualitäten hat, und die hat er nicht verloren“, sagt Luhukay. Das Tor sei auch für Ben-Hatiras Innenleben sehr wichtig gewesen.

Nicht nur für ihn. „Wir mussten das Gesicht wahren, natürlich wollen wir so schnell wie möglich aufsteigen“, sagte Ndjeng nach dem Unentschieden, das Hertha vor einem Fernsehaufstieg am Montag bewahrte. „Aber wir spielen uns auch schon für die Bundesliga ein.“ Das gilt speziell für Ben-Hatira. „Ich hoffe, dass ich in den letzten fünf Spielen noch auf Einsätze komme, um mit einem guten Gefühl in die Saisonvorbereitung zu gehen“, sagt er. Dafür will er auch auf Urlaub verzichten, obwohl er im Juni noch mit Tunesien in der WM-Qualifikation spielt. Ben-Hatira muss schließlich noch beweisen, dass er in der Bundesliga dauerhaft für Überraschungen gut ist. Für positive.

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