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AHORNBlätter (3): Inder im Schnee

Diesmal sucht Wolfram Eilenberger das Gespräch mit den Einheimischen. Wenn diese aber aus Indien kommen, wird der Smalltalk über die WInterspiele plötzlich zu einer anspruchsvollen Aufgabe.

„Hi, mein Name ist Nirav“. „Freut mich“, grüße ich überrascht zurück. Denn normalerweise reden wir Eltern auf dem Schulhof nicht viel miteinander. Ein jeder friert auch an diesem Freitag still vor sich hin und wartet, bis die Kleinen rausgestürmt kommen. Aber heute haben unsere Sprösslinge ihre Handschuhe vertauscht, die roten, Sie wissen schon: die mit den eingestickten Olympiaringen und dem silbrig schimmerndem Ahornblatt. In unserer Schule besitzt sie jedes zweites Kind. Da bleiben Verwechslungen nicht aus. Gerade bei den Erstklässlern. Niravs Sohn hat diesmal zwei rechte Fäustlinge erwischt, meine Tochter zwei linke.

Ob er sich auf die Olympischen Spiele freue, frage ich Nirav, um auch etwas zu sagen. Nun ja, er sei Inder, da mache er sich nicht so viel aus Wintersport. Klar, hätte ich mir eigentlich denken können. Unsere Kinder schnappen sich die Schlitten und rennen den Schulhügel hinauf. Im Gegensatz zu Vancouver liegt hier in Toronto Schnee. Ich meine: echter Schnee! Wir schauen zu, wie sie gemeinsam auf einem Schlitten im Skeleton-Stil den Hügel hinuntersausen. Team Kanada 2028.

Ob ich von den Betrugsvorwürfen gegen die deutschen Rodler gehört habe, fragt Nirav. Die Deutschen sollen nämlich, behaupten die Kanadier, über eine neue Wunderwaffe verfügen, eine Art Magnetfeld unter den Kufen, das die Vibrationen mildert und ein absolut geräuschloses Gleiten ermöglicht. Alles Neid. Deutsche Ingenieure seien einfach die besten, weiß Nirav. Ob ich auch Ingenieur sei? Nein, antworte ich. Ist zwar ein schöner Beruf, aber leider mit Arbeit verbunden.

Unser Gespräch droht zu ersterben. Ob ich Nirav fragen soll, wer beim Einzug der Nationen die indische Flagge tragen wird? Ich weiß ja nicht mal, ob es überhaupt ein indisches Olympiateam gibt. „Ich glaube, Gretzky wird das Feuer entzünden“, sage ich. Nirav nickt. Letztlich drehe sich hier alles immer nur um Eishockey, nuschelt er mehr zu sich selbst. Die Sonne sinkt. Zeit zu gehen. Am Abend sehe ich die Inder unter dem Jubel von 60.000 gretzkyseligen Kanadiern in die Arena von Vancouver einmarschieren. Drei Sportler, im Ganzen. Fahnenträger und unbestrittener Superstar des Teams ist der Rodler Shiva Keshavan. Muss ich Nirav von erzählen. Gleich am Montag.

Wolfram Eilenberger ist Philosoph, Schriftsteller und langjähriger Kolumnist des Tagesspiegel ("Live aus dem Elfenbeinturm"). Er lebt, schreibt und lehrt in Toronto, Kanada und schreibt im Wechsel mit Benedikt Voigt die Kolumne "AHORNBlätter".

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