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Sport: Aktiver Zuschauer

Jens Lehmann hütet heute das deutsche Tor – doch sein Konkurrent Oliver Kahn ist ihm weit voraus

Jens Lehmann ist ein sehr nachdenklicher Mensch. Das war der 35 Jahre alte Torwart von Arsenal London schon zu Zeiten als es in der deutschen Nationalelf noch keinen offenen Konkurrenzkampf gab um die Nummer eins gab. „Wenn ich Ehrenkarten für die WM 2006 bekomme und eine schöne Rundumbetreuung, dann freue ich mich darüber, dass ich bei diesem Turnier dabei war.“ Diesen Satz sagte Lehmann nach dem desaströsen Ausscheiden beim Confed-Cup 1999 in Guadalajara, Mexiko, als die Deutschen unter Erich Ribbeck mit einer Kompromisself angetreten waren. Und obwohl Oliver Kahn, sein großer Rivale, damals gar nicht erst mitgereist war, hatte Jens Lehmann wohl so etwas wie eine Vorahnung. Kahn bekommt den Posten im Tor, Lehmann die Ehrenkarten.

Trotz der drei Bälle, die Kahn am Mittwoch im Spiel gegen Australien aus dem Netz holen musste, hat sich die Position für Lehmann nicht wesentlich verbessert. Wenn der gebürtige Essener heute im Spiel gegen Tunesien das Tor hüten wird, dann darf er das, weil es Teil eines großen Plans der sportlichen Leitung der Nationalelf ist. Und nicht, weil dem Bundestrainer etwa Zweifel an Kahns Schaffenskraft befallen hätten. Kurz nach seiner Amtsübernahme rief Jürgen Klinsman die Rotation im deutschen Tor aus. Er wollte damit einen „fairen Konkurrenzkampf“ entfachen, der beide Top-Kandidaten zu noch mehr Leistung anstacheln sollte. Was im Frühstadium zu kleineren verbalen Rangeleien zwischen Kahn und Lehmann geführt hatte und noch heute speziell bei Bayern Münchens Führungskräften auf Kritik bis Unverständnis stößt, ist einer gewissen Normalität gewichen. Der Münchner Kahn ist die Nummer eins, Lehmann „der Herausforderer“, wie Jürgen Klinsmann sagt.

Nach dem Spiel gegen die Afrikaner wird der Trainerstab erneut zusammentreten und „die weitere Vorgehensweise besprechen“, sagt Klinsmanns Assistent Joachim Löw. Vermutlich wird es mit dem Wechselspielchen weitergehen. Alles deutet daraufhin, dass Klinsmann eine endgültige Entscheidung nicht vor März 2006 treffen wird. Jens Lehmann habe es sich schon mal abgewöhnt, „allzu weit zu denken im Fußball“, wie er sagt. „Wenn wir gegen Tunesien gewinnen, stehen wir im Halbfinale, alles andere liegt nicht in meiner Hand.“ Er hätte auch sagen können, dass seine Chancen im WM-Tor zu stehen, nicht besonders groß sind. Es sei denn, sein Dauer-Antipode Kahn würde müde werden und mit dem Halten aufhören.

Im Moment ist der Druck für Jens Lehmann höher, „weil man ja immer verglichen wird“, wie er sagt. Aber daran habe er sich schon in der englischen Premier League gewöhnt. Denn auch bei Arsenal war er zwischenzeitlich nicht die erste Wahl. Den dortigen Trainer Arsène Wenger hat er inzwischen wieder von seinen Qualitäten überzeugen können, den Bundestrainer noch nicht. Dass er überhaupt zu Einsätzen in der Nationalelf kam, hat er weniger seiner guten Paraden im Tor zu verdanken als vielmehr seinen hervorragenden Kontakten zu Oliver Bierhoff. Der Teammanager und er sind lange befreundet und durchaus Typ-verwandt – sie sind auf einer Wellenlänge. Und als Kahn im Tor der Bayern patzte, war der Zeitpunkt günstig für Bierhoffs Vorstoß bei Klinsmann.

Mittlerweile aber hat sich auch Oliver Kahn gefangen. Er erfüllt die Vorgaben des Bundestrainers auch außerhalb des Tores. Man kann sogar zu dem Eindruck gelangen, dass der 36 Jahre alte Münchner mehr vom Konkurrenzkampf profitiert hat als der, für den er einst ausgerufen worden war. „Wenn ich es nicht ertragen würde, die Nummer zwei in der Nationalmannschaft zu sein, würde ich gar nicht mehr hinfahren“, hat Lehmann kurz vor der WM 2002 gesagt, bei der Kahn als Titan gefeiert wurde. Heute würde Lehmann einen solchen Satz nicht mehr sagen. Doch was heißt das schon, wenn er heute sagt: „Ich möchte schon gern jedes Spiel im Tor stehen“?

Die Rolle eines Torwarts hat Lehmann einmal als eine Art Schauspiel beschrieben. „Ich muss den Eindruck machen, dass es schwer ist, mich zu überwinden. Wenn der Stürmer, der auf mich zukommt, Angst vor mir hat, habe ich den Ball schon fast gehalten.“ Was aber, wenn es ihm nicht gelingt, diesen Eindruck zu erzeugen, oder er dabei gestört wird? Als Lehmann neulich mit der Nationalelf das Eröffnungsspiel in der Allianz-Arena bestritt, wurde er schon beim Betreten des Rasens vom vorwiegend Münchner Publikum gnadenlos ausgepfiffen. Im Spiel unterliefen ihm dann viele Unsicherheiten. Teammanager Bierhoff sprach hernach von einer „Riesensauerei“ und legte sich öffentlich mit den Bossen des FC Bossen an, weil sie nichts dagegen unternommen hätten.

Lehmann spielt diesen Vorfall herunter. München sei schon sehr speziell, „da wird viel in diesen Zweikampf gelegt“, sagt er. Heute nun wird er in Köln auflaufen, und „wenn sie mich nicht auspfeifen, wäre es ja schon ein Erfolg für mich.“

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