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Sport: Alarmstufe orange

Berlin. Orangefarbene Plastikhütchen sind vor Jürgen Röber nie sicher.

Berlin. Orangefarbene Plastikhütchen sind vor Jürgen Röber nie sicher. Auch gestern nicht. Wieder einmal malträtierte er mit einem kräftigen Fußtritt eine dieser eigentlich bei Straßenabsperrungen verwendeten Kegel, die auch in Fußballstadien verwendet werden. So ganz war der Wutanfall des Trainers nicht zu verstehen. Hatte seine Elf nicht gewonnen, was in diesen wenig freudvollen Tagen bei Hertha BSC so oft nicht vorkommt? Sie hatte. Der zuvor dreimal erfolgreiche SV Werder Bremen war im Olympiastadion vor 34 426 Zuschauern 3:1 (2:1) bezwungen worden. Doch die Nerven sind bei Röber und seinen Kickern nach manch böser Niederlage angespannt. Und dieser Sieg, so willkommen er nach dem letzten Bundesliga-Debakel in Hamburg auch war, konnte nicht als Befreiungsschlag herhalten. "Es herrscht nach wie vor Alarmstimmung. Und noch haben die Spieler das Vertrauen, das wir in sie setzen, nicht gerechtfertigt. Es besteht kein Grund zur Selbstzufriedenheit", bekannte dann auch Manager Dieter Hoeneß. So viel kritische Distanz hat man bei ihm nach einem Erfolg selten gespürt.

Zum Thema Fotostrecke I: Hertha Backstage Fotostrecke II: Die Bilder der Saison 01/02 Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Bundesliga-Tippspiel: Das interaktive Fußball-Toto von meinberlin.de Immerhin, zwei Pflichtspiel-Siege in Folge stehen zu Buche, nach der Europapokalpartie in Stavanger (bei der Röber sich übrigens in einem seiner vielen Wutanfälle das Jackett vom Leibe riss und es auf die Erde schleuderte). Da sprechen manche schon vom Beginn einer dringend benötigten Siegesserie. Was so abwegig nicht ist. Denn was in den nächsten Wochen folgt, ist lösbar: Nürnberg, Stavanger, Gladbach, Wolfsburg, Rostock heißen die Gegner. Doch schon so manches Mal keimte Hoffnung auf die Wende auf, und dann folgte der nächste Rückschlag. Hoeneß: "Eine Wende ist es erst, wenn wir Anschluss an die oberen Plätze haben."

Ob Hertha da hingehört? Nach dem gestrigen Spiel bleiben Zweifel. Hätte Hertha auch gewonnen, wenn sich die Bremer auf geradezu sträfliche Art nicht selbst reduziert hätten? Nach 21 Minuten streckte der Bosnier Mladen Krstajic, schon verwarnt, Michael Preetz so rüde zu Boden, dass dem durch seine wichtigtuerische Art unangenehm auffallenden Markus Merk gar nichts anderes übrig blieb, als ihn mit der Gelb-Roten Karte in die Kabine zu schicken. Krstajic leistete seiner Mannschaft mit dieser unverständlichen Attacke einen Bärendienst. Dennoch meinte Werders Trainer Thomas Schaaf, den Merk in der zweiten Halbzeit auf die Tribüne verbannte: "Ich glaube, man hat nicht gesehen, dass wir in der restlichen Spielzeit ein Mann weniger waren." In der Tat spielten die Bremer weiter gut mit, hatten auch genügend Chancen, um zumindest einen Punkt mitzunehmen. Erwähnt seien der Schuss von Marco Bode ans Lattenkreuz, die Großchance von Torsten Frings und die vielen gefährlichen Fernschüsse, die Torhüter Gabor Kiraly in so oft vermisster souveräner Manier parierte.

Kiraly war nicht der Einzige, der an diesem sonnigen Nachmittag Pluspunkte sammeln konnte. Da war auch Josip Simunic, wohl bester Herthaner, auch wenn ihm Röber später so manch taktischen Fehler vor der Pause ankreidete. Da war auch der stets so umstrittene Bart Goor, der vielleicht sein bestes Spiel für seinen neuen Klub machte. Und der nun endlich auch sein erstes Tor (Röber: "Er war nun wirklich reif") erzielte. Auch die anderen beiden Torschützen, Pal Dardai und Marko Rehmer, hatten zuvor noch nicht getroffen. Und auch jene, die die Treffer mit sehenswerten Aktionen vorbereiteten, müssen erwähnt werden: René Tretschok, Marcelinho und Simunic. Dass hinter dem Einsatz des vergrippten Simunic ebenso wie hinter dem ähnlich geschwächten Rehmer bis kurz vor dem Abpfiff ein großes Fragezeichen stand, lässt ihre Leistungen noch höher bewerten. Am Ende durfte im Übrigen sogar Denis Lapaczinski sein Debüt im Hertha-Trikot geben. Dass er bei einem Sturmlauf nach wenigen Metern stolpernd zu Boden fiel, ist wohl seinem Lampenfieber zuzuschreiben.

Zumindest mit dem Ergebnis war Röber zufrieden. Konnte er auch sein. Bei der fast 70-minütigen Überzahl verbietet es sich von selbst, den Erfolg zu hoch zu bewerten. Immerhin: Es geht - wie in Stavanger - auch ohne Sebastian Deisler. Der wurde gerade in Vail/Colorado zwei Stunden am lädierten Knie operiert. Erfolgreich, wie Deisler auf seiner Homepage kundtat: "Der Doktor hat mir gesagt, dass alles zu seiner Zufriedenheit beim Eingriff verlaufen ist." Mitte nächster Woche soll er nach Berlin zurückkehren, dann beginnt die Rehabilitations-Phase.

Dann sind seine Mannschaftskameraden auch wieder im Training. Heute und morgen dürfen sie erst einmal ausspannen. Röber: "Vor den vielen englischen Wochen muss ich ihnen eine Ruhepause gönnen." Und so ein klein wenig haben sie diese auch verdient. Fußball-Ästheten kommen derzeit bei Hertha nicht auf ihre Kosten. Was allein zählt, sind Siege. Dann verstummen auch die Kritiker, die sich gestern nur selten bemerkbar machten. "Hertha 2. Liga?", hieß es auf einem Transparent. Nach dem 3:1 war es verschämt eingerollt worden.

Klaus Rocca

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