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Sport: Alle gegen einen

Warum der Marokkaner El Guerrouj im Finale über 1500 Meter nicht nur die Gegner auf der Bahn bezwingen musste

Paris. Hicham El Guerrouj hatte mehr als die elf Gegner auf der Laufbahn. 60 000 Zuschauer brüllten während des 1500-m-Finales bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften nur einen Namen: Mehdi Baala. Doch die Hoffnungen der Franzosen auf die erste Goldmedaille bei den Titelkämpfen im Stade de France von Paris erfüllten sich in diesem Endlauf nicht. Am Ende wurde Hicham El Guerrouj in 3:31,77 Minuten zum vierten Mal in Folge als Weltmeister gefeiert. Der Europameister von München, Mehdi Baala, gewann Silber.

Im Vorfeld dieser Weltmeisterschaften war viel darüber spekuliert worden, in welcher Form El Guerrouj wohl anreisen würde. Er schien nicht mehr so dominant wie in den vergangenen Jahren zu sein. Obwohl sich seine Erfolgsserie auch vor der WM fortgesetzt hatte. Seit 1996 hat der 28-jährige Marokkaner bis heute lediglich drei Rennen über 1500 Meter beziehungsweise die Meile verloren. Es war sein Schicksal, dass darunter ausgerechnet die beiden wichtigsten waren: Bei den Olympischen Spielen 1996 stolperte er im Finale über ein Bein seines schärfsten Konkurrenten, Noureddine Morceli (Algerien), der am Ende gewann. Vier Jahre später in Sydney, wieder bei Olympia, schlug ihn der Kenianer Noah Ngeny ausgerechnet im Spurt, in dem El Guerrouj so gut wie unschlagbar galt. Das war wie ein K.-o.-Schlag für ihn. El Guerrouj war dicht dran, seine Karriere zu beenden.

Von der Schwester motiviert

Es war in erster Linie seine Schwester, die es schaffte, ihn neu zu motivieren. Und seine Schwester spielte auch im Vorfeld des 1500-m-Finales von Paris wieder eine entscheidende Rolle. In den französischen Zeitungen hatte Hicham El Guerrouj in den Tagen vor dem Finale viel darüber gelesen, dass er längst nicht mehr so stark sein würde wie früher und dass sich seine Karriere dem Ende nähert. Der frühere britische Weltklasseläufer Steve Ovett hatte die Gegner des Weltrekordlers in der „Financial Times" sogar aufgefordert, den Marokkaner anzugreifen, nicht vor Ehrfurcht zu erstarren. El Guerrouj war so nervös, dass er fünf Tage lang nicht richtig schlafen konnte. Verzweifelt hatte er versucht, seine Mutter anzurufen, doch er erreichte sie nicht. Stattdessen telefonierte er mit seiner Schwester. „Ich erzählte ihr, dass ganz Frankreich gegen mich sei", sagte El Guerrouj. „Da hat sie geantwortet: Mach dir keine Sorgen, Gott ist mit dir. Das hat mir Kraft gegeben." Nach diesem Gespräch hatte er wieder Zuversicht.

„Aber es war psychologisch trotzdem schwer. Wenn das ganze Stadion nur den Namen des Gegners ruft, dann fragt man sich, ob man überhaupt noch existiert. In so einer Situation ist Erfahrung wichtig", erklärte El Guerrouj, der sich letztlich erneut auf seine Stärke verließ, im Rennen die eigene Taktik durchzusetzen.

Olympia als Trauma

In der zweiten Hälfte des Finallaufes hielt er deshalb das Tempo so hoch, dass Mehdi Baala schließlich keine Kraft mehr zu einem Angriff auf der Zielgeraden hatte. „Ich wollte auf den letzten 200 Metern explodieren, aber ich konnte einfach nicht mehr", sagte der Franzose, für den die Situation in seinem Heimspiel auch nicht leicht war. „Es ist natürlich toll, vor heimischem Publikum zu laufen. Aber es ist auch ein enormer Stress, denn die Erwartungshaltung ist riesig", sagte Baala, der auf das nächste Jahr hofft: „Jeder träumt natürlich davon, Olympiasieger zu werden." Vielleicht hat er tatsächlich eine Chance, denn Olympia ist für El Guerrouj bislang ein Trauma gewesen.

Bevor der Marokkaner an Athen 2004 denkt, bleibt er noch auf seiner erfolgreichsten Bühne, den Weltmeisterschaften. Als erster Läufer der WM-Geschichte will Hicham El Guerrouj auch noch über 5000 Meter gewinnen. „Es wird ein großes Rennen, und es ist enorm schwierig, zu siegen – aber ich versuche es", sagte er. Die Zuschauer werden am Sonntag nicht wieder gegen ihn sein. Seine Gegner allerdings sind vergleichsweise deutlich stärker als im 1500-m-Finale.

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