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Sport: Alle Macht geht von der Abwehr aus

Die Defensive ist der Schlüssel für die Stärke der deutschen Nationalmannschaft

In diesen Tagen hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft sogar noch Zeit gefunden, ein paar alte Freundschaften zu pflegen. Sönke Wortmann, der Regisseur des cineastischen Sommermärchens, wurde in der vergangenen Woche nach Berlin eingeladen. Verbunden war diese Einladung allerdings mit der Bitte, innerhalb von fünf Tagen ein Imagefilmchen für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu drehen, der dem Land 1000 Mini-Bolzplätze stiftet. In Wortmanns Film sind die Nationalspieler bei der Montage eines solchen Platzes zu sehen: Kevin Kuranyi legt die Mittellinie aus, Torsten Frings hantiert mit einem Bohrer, und Philipp Lahm bringt in luftiger Höhe ein Willkommens-Schild an. Er sitzt dabei auf den Schultern von Per Mertesacker. Ein lustiges Bild, und so passend dazu. Die Innenverteidigung mit Mertesacker und seinem Kompagnon Christoph Metzelder ist die stabile Basis, auf der die deutsche Nationalmannschaft ruht.

Von all den beeindruckenden Entwicklungen, die die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw in den vergangenen anderthalb Jahren gemacht hat, ist es wohl die beeindruckendste, dass sie ihr legendäres Abwehrloch gestopft hat. Bis in die Weltmeisterschaft hinein wurde die Mannschaft, die doch nichts lieber als einfach nur offensiv sein wollte, von einer lästigen Defensivdebatte verfolgt. Inzwischen wissen die Jüngeren wahrscheinlich gar nicht mehr, was das sein soll. Die Defensivdebatte im deutschen Fußball ist genauso ein aussterbendes Phänomen wie die Musikkassette. In den 15 Länderspielen unter Joachim Löw hat die Nationalmannschaft nie mehr als ein Gegentor kassiert, in den neun Qualifikationsspielen für die Europameisterschaft (vor dem Spiel gegen Tschechien am Mittwoch, das bei Redaktionsschluss dieser Aussage nicht beendet war) waren es gerade vier.

Das Kernstück der deutschen Defensive ist die Innenverteidigung mit dem Bremer Per Mertesacker sowie Christoph Metzelder von Real Madrid, die inzwischen ein fein abgestimmtes Pärchen bilden. „Sie sind unglaublich souverän und abgeklärt, zweikampfstark und taktisch sehr gut“, sagt Bundestrainer Löw. „Das ist ein hohes Niveau.“ Noch zu Beginn der Weltmeisterschaft wäre allerdings niemand auf die Idee gekommen, derart elegisch von der deutschen Abwehr zu sprechen. Selbst Costa Rica schaffte es, im Eröffnungsspiel der WM zwei Tore gegen die Deutschen zu erzielen.

Nach dem Spiel gab es eine Art Dringlichkeitssitzung des Ressorts Innenverteidigung. Mertesacker und Metzelder stellten dabei fest, dass ihre unterschiedlichen Interpretationen der Viererkette nicht kompatibel waren; erst nach dieser Selbstvergewisserung fanden sie eine gemeinsame Sprache. „Seit diesem Zeitpunkt habe ich ein gutes Gefühl dabei“, sagt Mertesacker. „Das hat uns wirklich Kraft gegeben. Ab dem ersten Moment war das zu spüren.“

Mehr noch als der 9. Juni aber ist der 1. März 2006 das Gründungsdatum der deutschen Mannschaft, die gerade von Franz Beckenbauer zur besten Europas geadelt worden ist. Am 1. März spielten die Deutschen in Florenz gegen Italien. Sie verloren 1:4, sie verloren ihre Hoffnung, und vor allem verloren sie: ihre Würde. Doch mit dem Wissen von heute sagt Bundestrainer Löw: „Das ist immer noch eines der wertvollsten Spiele – weil wir da richtig einen auf die Mütze bekommen haben. Da war so klar, was wir falsch machen. Das waren eklatante, elementare Dinge.“

Die Fortschritte im Defensivspiel sind jedoch nicht mit den beiden Innenverteidigern allein zu erklären, zumal Metzelder und Mertesacker nur in sieben der fünfzehn Spiele unter Löw gemeinsam auf dem Platz gestanden haben. Die Mannschaft im Allgemeinen und die Abwehr im Speziellen besitzen inzwischen eine strukturelle Stabilität, die sich von den handelnden Personen weitgehend abgelöst hat. Auch wenn die B-Besetzung Arne und Manuel Friedrich zentral in der Viererkette spielte, hatte dies keine erkennbaren Einbußen in der defensiven Sicherheit zur Folge. „Unsere Defensivarbeit ist insgesamt besser geworden“, sagt Joachim Löw.

Das Mittelfeld, im Spiel gegen Italien vor anderthalb Jahren nichts als ein großes schwarzes Loch, funktioniert inzwischen wie ein feines Sieb, in dem ein Großteil der gegnerischen Angriffe hängen bleibt. Hinzu kommt der psychologische Effekt. Christoph Metzelder sagt, die Mittelfeldspieler wüssten, „dass sie hinter sich vier Leute haben, auf die sie sich verlassen können“. Die deutsche Abwehr ist eben wieder eine Macht.

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