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Sport: „Alle Spieler bekommen den Knigge“

Oliver Bierhoff über Persönlichkeitsentwicklung, künftige Lektüre und neue Ziele

Herr Bierhoff, warum sind Sie, anders als Jürgen Klinsmann, nicht leer und ausgebrannt? War die WM für den Manager nicht so anstrengend wie für den Bundestrainer?

Eine körperliche Müdigkeit hat jeder von uns im Team verspürt. Da ist jeder in eine Delle gefallen, allerdings weniger emotional. Ich freue mich auf die nächsten Aufgaben, von denen es jede Menge gibt. Deswegen muss man die Nationalmannschaft nicht künstlich immer in den Mittelpunkt stellen, aber wenn die Zeit da ist, muss man gewisse Akzente setzen.

Welche denn? Die Nationalmannschaft steht so gut da wie selten zuvor.

Man muss sehen, wo wir herkommen. 2004 stand die Nationalmannschaft für Breitwandfußball und dafür, dass alles, was die Nationalmannschaft betraf, als Last empfunden wurde. In der Öffentlichkeit entstand wieder das Bild der trägen Millionäre, die die Nationalmannschaft nur noch als Pflicht betrachteten. Wir haben eine Mannschaft mit jungen Spielern aufgebaut, die nicht nur angenehm auftritt, sondern die so auch Fußball spielt. Die Spieler haben Spaß an der Nationalmannschaft. Das merkt man auch an dem, was sie erzählen.

Was kommt Ihnen denn so zu Ohren?

Die Spieler erzählen, dass sie bei der Nationalmannschaft viel gelernt haben und dass sie sehr gern zur Nationalmannschaft kommen. Sie genießen die Atmosphäre hier, die sie sich zum Teil selbst geschaffen haben. Und: Diese deutsche Nationalmannschaft hat wieder eine ganz enge Verbindung zu ihren Fans. Denken Sie nur an die öffentliche Trainingseinheit in Düsseldorf, zu der 50 000 Menschen kamen. Aber die Mannschaft steht auch für andere Dinge, sie ist gesellschaftlich eingebettet und engagiert. Nehmen Sie die Statements, die das Team abgegeben hat: Wir haben 250 000 Euro für die Tsunami-Opfer gespendet, und wir haben einen Anti-Randale-Spot gemacht. Das kam von innen heraus, ohne Aufforderung.

Ihr Ziel war es, die Mannschaft bis zur WM so zu entwickeln, dass die Menschen ihr wieder die Daumen drücken. Dieses Ziel ist übererfüllt. Welche neue Idee braucht die Mannschaft jetzt?

Das Schönste für mich war, dass die Menschen wahnsinnig zufrieden, ja glücklich waren mit ihrer Mannschaft, obwohl wir nicht Weltmeister wurden. Das Gefühl, das die Deutschen zu ihrer Mannschaft entwickelt haben, war nicht erfolgsorientiert. Ich habe bis heute nicht einen gehört, der gesagt hat: So ein Mist, dass wir nicht Weltmeister geworden sind. Und der Film von Sönke Wortmann wird noch dazu beitragen, diese Spieler menschlicher zu machen.

Menschlicher – ist das so ungewöhnlich?

Vermenschlichen ist immer gut. Und Natürlichkeit. Vor allem in Bezug auf die Fans. Die fällt manchmal schwer, weil die Spieler schon in ihren Vereinen viele Anforderungen erfüllen müssen. Sie kommen zum Teil unentspannt zu uns. Es wird aber auch immer eine gewisse Distanz bleiben. Oft wird das der Mannschaft als Arroganz ausgelegt, entspringt aber bestimmter Sicherheits- und Schutzmaßnahmen. Durch den Film aber wird deutlich, welche Gefühle die Spieler haben, wie sie besondere Momente erleben. Und die Menschen sehen, dass die Spieler ganz ähnlich sind wie du und ich.

Das Image der Mannschaft ist klar verbessert worden, was verfolgen Sie jetzt?

Für die Nationalmannschaft gilt ganz klar: Die sportlichen Ziele sind die wichtigsten. Mit dem Erreichen der sportlichen Ziele kommen andere Werte wie Sympathie und Vertrauen in die Mannschaft. Da haben wir schon viel erreicht. Da ist im Kern etwas zusammengewachsen, das wir weiter voranbringen wollen. Wir müssen den Spielern noch mehr Selbstvertrauen geben. Einige haben doch noch ein sehr schüchternes Auftreten. Es geht jetzt darum zu zeigen: Hier hat sich eine Gruppe gefunden, die auch etwas zu sagen hat.

Geben Sie uns ein Beispiel?

Auch wenn es für den Verband nicht so erfreulich war: das Erstreiten der freien Schuhwahl ist so ein Beispiel. Das war eine Aktion, die von der Mannschaft initiiert und getragen wurde. Das ist ein Zeichen für Selbstvertrauen und Gemeinschaft. In den vergangenen beiden Jahren haben wir von der Führung viele Dinge vorgegeben, mit denen wir die Mannschaft ein bisschen gezogen haben. Jetzt ist die Mannschaft so weit, dass sie selber Dinge initiieren und durchziehen kann. Denn die Nationalmannschaft spricht mittlerweile mit einer Stimme, was nicht ganz so selbstverständlich war.

Dann können Sie ja die Mannschaft sich selbst überlassen.

Ein Stück schon. Unser Ziel war, die individualisierte Betreuung der Spieler zu forcieren. Das ist ein Punkt, mit dem ich mich beschäftigt habe, weil ich weniger in den technisch-taktischen Bereich eingedrungen bin. Es geht um die Persönlichkeitsentwicklung der Spieler. Wenn die einsetzt, hat das Einfluss auf andere Bereiche, dann entwickelt sich vieles von selbst. Aber natürlich wollen wir die Entwicklung der Spieler außerhalb des Platzes weiterhin begleiten.

Im Vorfeld der WM hielten ein Extremkletterer und der frühere Deutschlandchef von McKinsey Vorträge. Wer soll demnächst eingeladen werden?

Die Ansichten und Denkweisen von Stefan Glowacz und Herbert Henzler waren sehr wertvoll. Wir waren in Museen und im Schah-Palast in Iran. So etwas werden wir auch künftig tun, um den Spielern über ihren Sport hinaus ein paar Sachen näher zu bringen.

Sie wollen den Kontakt außerhalb von Länderspielterminen besser nutzen. Wie soll das aussehen?

Daran arbeiten wir noch. Wir haben die Absicht, den Spielern bei ihrer Karriereplanung behilflich zu sein. Wir wollen da nichts verordnen, sondern in der Diskussion etwas entwerfen. Von einigen Spielern können wir bestimmte Dinge erwarten, anderen müssen wir ein bisschen Zeit lassen. Das Ziel aber bleibt immer gleich: Bewusstseinsschaffung.

Ein großes Wort.

Sehen Sie, den Spielern wird ja von klein auf gesagt, wie schwer sie’s haben und welch extreme Anforderungen an sie gestellt werden. Wir wollen ihnen zeigen, dass die Anforderungen gar nicht so extrem sind. Natürlich ist dieser öffentliche Druck etwas, was es in anderen Sportarten nicht gibt. Daher ärgert es mich, wenn andere Sportler so lapidar daherreden, was die Fußballer so machen. Das sind meist Sportler, die total nervös werden, wenn die Zeitungen mal ein bisschen mehr über sie berichten, ganz zu schweigen davon, wenn sie mal in der breiten Öffentlichkeit kritisiert werden.

Klinsmann, der krasse Reformer, ist weg. Damit erledigt sich Ihre Bestimmung als eloquenter Komoderator, der die Wogen zwischen Mannschaft, Verband und Liga glättet. Wird es jetzt langweiliger?

Das bestimmt nicht. Jürgen war notwendig durch seine Persönlichkeit, seinen Charakter und seine Distanz, um bestimmte Sachen durchzusetzen. Jetzt geht es nicht mehr darum, etwas Außergewöhnliches zu machen, aber es gibt Dinge, die damals schon gedanklich vorbereitet wurden, aber strukturell im Verband noch nicht umsetzbar waren.

Dafür ist ein sogenanntes Kompetenzteam geschaffen worden, dem Sie vorsitzen.

Eigentlich könnte ich es mir leicht machen und sagen: Passt mal auf, ich bin organisatorisch für die A-Mannschaft und die U 21 verantwortlich, der Rest interessiert mich nicht. Aber da liefe was verkehrt, schon weil wir uns gegenseitig richtig helfen können. Im Interesse der Weiterentwicklung des deutschen Fußballs brauchen wir die politische und wirtschaftliche Wirkung der Nationalmannschaft. Außerdem haben wir bei der Nationalmannschaft die besten Leute, also die besten Mediziner, die besten Fitnessleute. Das Wissen müssen wir nach unten geben. Das ist unsere Pflicht. Dort muss es verarbeitet und genutzt werden. Wir wollen unsere Kompetenz und unsere Power zusammenführen, um Dinge voranzutreiben. Viele Dinge sind in der Vergangenheit zerredet worden, es war kein Schwung drin.

Was könnte denn schlimmstenfalls passieren?

Was die Mannschaft betrifft, wird das nicht passieren, weil ich unsere Trainer kenne. Schlimm wäre, insgesamt ein Ausruhen auf den Erfolgswerten oder wenn jetzt ein Sicherheitsdenken einsetzen würde – jetzt machen wir mal langsam und keinen Schritt zu viel. Die Entwicklung darf nicht wieder einschlafen.

Der Verband hat immer vorgerechnet, wie teuer das Projekt WM 2006 war. Der Schatzmeister sprach von einem Imperium, das Klinsmann sich aufgebaut habe.

Ich kann es nicht mehr hören, ehrlich. Wir stellen gerade ein paar relevante Daten von anderen Wirtschaftsunternehmen zusammen. Wir wollen wissen, was andere Unternehmen in Sachen PR und für Mitarbeiterentwicklung ausgeben. Ich glaube, wir liegen in der Aufwand- Nutzen-Rechnung gar nicht schlecht. Zudem ist eine Marktforschung in Auftrag gegeben worden. Die ersten Ergebnisse sind überwältigend.

Zum Beispiel?

Der Bekanntheitsgrad von Jürgen Klinsmann und mir ist auf 98 Prozent gestiegen. Der Sympathiewert bei mir liegt bei 78 Prozent, bei Jürgen sogar bei 87. Die Zahlen der Mannschaft kommen erst in der zweiten Tranche.

Für Sie hat sich die WM also richtig gelohnt.

Es ging weder um Klinsmann noch um mich. Der deutsche Fußball ist belohnt worden, und damit auch der DFB für seine Investitionen. Aber glauben Sie mir, so viel, wie immer dargestellt wurde, hat das ganze Unternehmen WM auch nicht gekostet. Wir haben viel mit Partnern gearbeitet. Und das Beste: Wir haben unser WM-Budget bei weitem nicht ausgeschöpft.

Das wird den DFB aber freuen.

Klar. Die meisten Verträge mit unseren Partnern laufen noch bis 2008. Alle Partner sind zufrieden und wollen mehr Nationalmannschaft haben. Der einzige Vertrag, der ausläuft, ist der mit LG Electronics, aber auch da sind wir in guten Verhandlungen.

Im Dezember 2004 bekam jeder Nationalspieler von Ihnen den amerikanischen Bestseller „Denke nach und werde reich“. Welches Buch werden Sie den Spielern als Nächstes überreichen?

Demnächst bekommen alle Spieler den Knigge.

Im Ernst?

Ja, das ist ein schönes Nachschlagewerk für viele Lebenslagen. Was habe ich bei einer Hochzeit anzuziehen, wie habe ich mich bei einem Empfang zu verhalten?

Kriegt Jürgen Klinsmann auch einen?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.

– Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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