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Sport: Alles außer Regen

Die Polen sind mit ihrer Gruppe zufrieden, obwohl es gegen Deutschland geht

Kurz vor Mitternacht wagte Pawel Janas einen kleinen Blick in die Geschichtsbücher des Fußballs. „Ich hoffe, dass es kein Regenspiel wird wie damals in Frankfurt“, sagte der polnische Nationaltrainer und lächelte. Bei der WM 1974, der legendären „Wasserschlacht von Frankfurt“, hatten die deutschen und polnischen Fußballer im alten Waldstadion mehr mit den tiefen Pfützen auf dem Rasen zu kämpfen als mit ihren Gegenspielern.

Mehr als 30 Jahre später wird die polnische Nationalmannschaft wieder zu einer Fußball-WM nach Deutschland reisen. Trainer Janas fand es zwar in den Minuten nach der Auslosung am Freitagabend „ein bisschen schade“, dass seine Spieler nicht das Eröffnungsspiel gegen den Gastgeber bestreiten, sondern erst am 14. Juni 2006 im Dortmunder Westfalenstadion gegen die deutsche Mannschaft antreten dürfen. Und doch machte sich in den Leipziger Messehallen schnell Zufriedenheit breit, auch aus polnischer Sicht. Die Zeitung „Zycie Warszawy“ schrieb am nächsten Tag, dass „Pawel Janas und seine Mannschaft das Glück nicht verlassen habe“, auch wenn sie gegen die Deutschen spielen, „gegen die das polnische Team noch nie gewonnen hat“. Die DFB-Elf hat zehn der 14 Länderspiele gewonnen und viermal unentschieden gespielt.

Und noch etwas ist in den Statistiken zu erkennen, was gut zum manchmal eher schwierigen Verhältnis der beiden Länder passt. In den vergangenen 24 Jahren, fast ein Vierteljahrhundert also, haben die beiden Nachbarländer nur ein Länderspiel gegeneinander ausgetragen. Und genau jenes ist auch noch mit hässlichen Erinnerungen verbunden. „Schindler-Jugend, wir grüßen euch“, hatten deutsche Rechtsradikale 1996 in der polnischen Stadt Zabrze auf ein Plakat gemalt, für das sich die Bundesregierung später offiziell entschuldigt hat.

Knapp 300 000 Polen leben in Deutschland, auch deshalb hat das WM-Spiel in der Vorrundengruppe A einen besonderen Stellenwert. Die deutschen Nationalspieler Miroslav Klose, Lukas Podolski und Lukas Sinkiewicz sind in Schlesien geboren und in jungen Jahren nach Deutschland gezogen. Wenn sie im DFB-Quartier zusammensitzen, reden sie polnisch. So freute sich auch der Kölner Stürmer Podolski am Tag nach der Auslosung. „Das muss man sich mal vorstellen: Polen spielt ausgerechnet gegen Deutschland in Deutschland“, sagte Podolski. In erster Linie wolle er mit dem deutschen Team das Achtelfinale erreichen, aber jeder würde ihn wohl verstehen, „dass ich mich riesig freue, wenn es auch die Polen schaffen“.

Die Zeiten, da ein deutscher Nationalspieler wie Dariusz Wosz aufgrund seines Namens und seiner Geburtsstadt in deutschen Stadien geschmäht wurde, dürften vorbei sein. In Dortmund beispielsweise hat sich der polnische Nationalstürmer Euzebiusz „Ebi“ Smolarek längst mit seinen elf Toren zum Publikumsliebling entwickelt. Der 24-Jährige bildet mit den Stürmern Tomasz Frankowski vom spanischen Klub Elche und Maciej Zurawski von Celtic Glagow den polnischen Angriff, den auch Bundestrainer Jürgen Klinsmann sehr lobt. Und auch Franz Beckenbauer, der Präsident des WM-Organisationskomitees, konnte in der Nacht seinen Respekt vor dem Gruppengegner nicht verbergen: „Polen hat eine sehr, sehr gute Qualifikation gespielt.“

Die Mannschaft hatte zwar die beiden Spiele gegen England verloren, die anderen acht jedoch gewonnen. Auch deshalb macht sich in Polen ein bisschen die Hoffnung breit, langsam an die Erfolge der Siebzigerjahre anzuknüpfen, in denen die Mannschaft erst das olympische Fußballturnier 1972 gewann und zwei Jahre später bei der WM durch einen 1:0-Sieg gegen Brasilien Dritter wurde. Das Tor erzielte damals Grzegorz Lato im Münchner Olympiastadion, in dem nur einen Tag später die Deutschen die Weltmeisterschaft gegen Holland gewannen. Lato wurde damals mit sieben Treffer Torschützenkönig des Turniers.

Zwar warnen Sicherheitsbehörden vor den als sehr gewaltbereit geltenden polnischen Hooligans, die zur WM einreisen könnten, die große Mehrheit aber werde mit den Deutschen gemeinsam friedlich auf den Straßen feiern, sagte der Tourismuschef des deutschen WM-Organisationskomitees, Fedor Radmann. „Die Stadien werden eh ausverkauft sein, wenn Polen in Deutschland spielt.“ Allein in Berlin leben 30 000 Polen.

Dass bei aller Begeisterung jedoch ein wenig Zurückhaltung geboten sein sollte, was die Erfolgsaussichten der polnischen Mannschaft angeht, zeigen die Leistungen in der Defensive. Die gilt – trotz des Torhüters Jerzy Dudek vom FC Liverpool – als Schwachpunkt. Der polnische Verband hatte sich jüngst um die Spielerlaubnis für Hannovers Profi Christoph Dabrowski bemüht. Doch der in Katowice geborene Spieler darf nicht für die polnische Nationalmannschaft spielen, weil er bereits für die deutsche U 21 im Einsatz war. In Deutschland gegen Deutschland zu spielen, „das wäre wie ein Märchen gewesen“, sagte Dabrowski. Jetzt muss er sich das Spiel im Stadion anschauen. Karten besitzt er nicht. So weit geht die Liebe dann doch nicht.

André Görke[Leipzig]

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