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Sport: Als die Halde bebte

Vergesst Bayern München! Vergesst den BFC Dynamo! Gegen die SG Planitz hatte niemand eine Chance. Der Dorfklub wurde 1948 erster Meister des Ostens. Verloren haben sie nur einmal – gegen die Sowjets

„Ich wurde in Planitz geboren, einer Stadt, in der die Säuglinge als erstes Wort ’Tooor’ krähen und die alten Leutchen trotz Zipperlein zum Stadion humpeln.“

Werner Lorenz, Spieler beim SC Wismut Karl-Marx-Stadt in den 50er Jahren.

Wo sich früher 30 000 Menschen drängten, um den berühmten Planitzer Fußball zu sehen, sprießt heute Unkraut. Auf den Wällen der ehemaligen Westsachsenkampfbahn kann der Löwenzahn ungestört wachsen, vor 60 Jahren hätten ihn die Füße der wogenden Zuschauermassen plattgetreten. Früher zauberte hier die SG Planitz.

Sie war der Stolz der Stadt. Und sie war der erste Fußballmeister in der sowjetisch besetzten Ostzone.

Wenn die SG spielte, wie der traditionsreiche Planitzer SC nach Kriegsende heißen musste, strömten Menschen aus der ganzen Region in den Ortsteil im Zwickauer Süden. Zur Einweihung des Rasenplatzes und der Holztribüne war 1938 Schalke 04 zu Gast. Die berühmten Spieler des Schalker Kreisels übernachteten in Zwickau, denn in Planitz gab es kein Hotel, das den Ansprüchen eines dreifachen Deutschen Meisters genügte. Fußballerisch sah das anders aus: Planitz gewann 3:2. Die Schalker Delegation um die Nationalspieler Szepan und Kuzorra schrieb in das Goldene Buch der Stadt: „In der Geschichte von Schalke 04 wird die Stadt Planitz immer eines der schönsten Kapitel sein.“ Bis 1944 war der 22 000-Einwohner-Ort eine eigene Stadt, dann wurde Planitz in Zwickau eingemeindet.

Mit 16 Jahren war Erich Meichsner noch zu jung, um gegen Schalke auf dem Feld zu stehen. Auch als die Planitzer in den 30er Jahren Bayern München, Hertha BSC, Werder Bremen und Austria Wien schlugen, durfte er nur zuschauen. Nachdem er alle Jugendmannschaften des Klubs durchlaufen und den Krieg überlebt hatte, wurde er 1948 bei der Ostzonen-Meisterschaft als linker Läufer endlich Stammspieler in Planitz.

Als Spieler bekam er beim Fleischer die besten Stücke, in der Stammkneipe der Mannschaft, wo sie sich auch umzogen und wuschen, gab es Bier aufs Haus. „Nach dem Krieg hatten die Menschen nichts, da wurde der Fußball geehrt“, sagt Meichsner. Er ist heute 85 Jahre alt, das Laufen fällt ihm ein bisschen schwer, aber wenn er über Planitz redet, dann wirkt er wie ein Jugendlicher. Es ist ja auch so: Die SG war damals schließlich genau so erfolgreich wie der FC Bayern, der an diesem Wochenende schon wieder Meister werden kann. Damals aber hatten die Münchner erst einen Meistertitel gewonnen, den im Jahr 1932.

Meichsner schwärmt von einer Mannschaft, deren Markenzeichen ihre Technik war, über Auswärtsfahrten auf der offenen Ladefläche eines Lkw. Über den genialen Mittelläufer Herbert Seltman, den alle nur „Gummi“ riefen, weil er so elastisch war wie ein Gummiband und alle Bälle erreichte. Als Meichsner 1948 neben „Gummi“ die Gegner zur Verzweiflung bringt, ist der Fußball in Planitz auf seinem Zenit. Erstmals nach dem Krieg soll wieder ein gesamtdeutscher Fußballmeister ermittelt werden. Die SG Meerane und Planitz qualifizieren sich für Sachsen, die vier anderen Länder stellen ebenfalls zwei Mannschaften. Nach Siegen gegen Schwerin und Weimar-Ost stehen die Planitzer am 4. Juli 1948 im Finale. Gegener in Leipzig ist vor 40 000 Zuschauern die SG Freiimfelde Halle.

Die halbe Stadt macht sich auf zum Endspiel. Fuhrunternehmer rüsten ihre Lastwagen um, Sonderzüge bringen die Fans nach Leipzig. Im Stadionheft heißt es: „Diese Mannschaft pflegt in hervorragender Art das technische Zusammenspiel, sie stellt eine Mischung aus Wiener Fußballschule und neuer, moderner, aber dennoch spielschöner Stilistik dar.“

Doch Meichsner und seine Mitspieler tun sich schwer gegen eine Mannschaft aus Halle, die ihr Spiel zerstören will. Planitz geht in Führung, aber der Ball will auf dem hohen Rasen in Leipzig einfach nicht so laufen wie sonst. „Es war, als ob ihnen Blei in den Knochen steckte“, sagte nach dem Spiel Helmut Schön, der damals die Sachsen-Auswahl betreute und die bundesdeutsche Nationalmannschaft 1974 zum WM-Titel führen sollte. Doch es bleibt beim 1:0, die SG Planitz ist der erste Ostzonenmeister. Und damit für die Endrunde um die deutsche Meisterschaft qualifiziert.

Je zwei Mannschaften aus den Besatzungszonen der Briten, Franzosen und Amerikaner treten an. Union Oberschöneweide, der heutige 1. FC Union, hat sich als Berliner Meister qualifiziert, die SG Planitz komplettiert das Viertelfinale. Große Vereine warten: der Hamburger SV, der FC St.Pauli, 1860 München, der 1. FC Kaiserslautern. Planitz soll zwei Wochen nach dem Titelgewinn im Osten in Stuttgart gegen den 1. FC Nürnberg antreten, den Meister der amerikanischen Zone.

Doch die Sowjets sind erbost über die Einführung der D-Mark in den Westzonen, die Planitzer dürfen nicht antreten. „Das war so traurig“, sagt Meichnser. Wir wollten unseren Fußball doch ganz Deutschland präsentieren.“ Nürnberg holt sich durch ein 2:1 gegen Kaiserslautern den Titel.

In der folgenden Saison ändert sich einiges in Zwickau. Die SED-Funktionäre wollen den Sport an Betriebe anbinden. Die „Zentrale Sportgemeinschaft Horch Zwickau“ wird gegründet, mehrere Vereine schließen sich an – die SG Planitz lehnt ab. Zweimal stimmen sie gegen die Vereinigung, im Hintergrund wächst der Druck der Parteifunktionäre, beim dritten Mal ist der Widerstand gebrochen.

Die besten Planitzer laufen ab sofort für die ZSG Horch Zwickau auf und werden im volkseigenen Horch-Werk angestellt, wo Traktoren vom Typ Pionier vom Band rollen. Mit vier ehemaligen Planitzern in der Startaufstellung wird Zwickau 1950 erster Fußballmeister der DDR. Die SG Planitz tritt in der Sachsenliga an, Staffel West. 1950 wird sie endgültig aufgelöst und in die BSG Aktivist Steinkohle Zwickau eingegliedert.

Während Horch Zwickau – mittlerweile in BSG Sachsenring unbenannt – 1976 vor 40 000 Zuschauern den AC Florenz und Celtic Glasgow aus dem Europapokal der Pokalsieger wirft, rottet die Tribüne auf der Westsachsenkampfbahn vor sich hin. „Das wurde dem Verfall preisgegeben“, sagt Erich Meichsner. „Schade, dass alles vorbei ist.“

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