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Sport: Als Hertha noch Wunder vollbrachte

Vor zehn Jahren standen die Amateure im DFB-Pokal-Endspiel – zum aktuellen Finale am Samstag treffen sie sich erstmals wieder

Berlin. Das Rezept hat er im Kopf. „Rinderfiletspitzen, Tomatensahnesoße, scharf würzen, fertig.“ Das Gericht heißt „Spaghetti à la Hertha“, der Preis: acht Euro fünzig.

Willkommen in Berlin-Wedding. Hier hat Camillo Mamoghli sein Restaurant, das „Allegro“, hübsch gelegen an der Bundesstraße 96, gegenüber von Schering. Dort treffen sich am Samstagnachmittag erstmals jene Spieler wieder, die vor zehn Jahren mit den Amateuren von Hertha BSC das Finale des DFB-Pokals erreichten, und dieses 0:1 gegen Bayer Leverkusen verloren. Am Abend werden sie dann im Berliner Olympiastadion das aktuelle Pokalfinale zwischen Bayern München und Kaiserslautern sehen, am Sonntag fahren sie mit Herthas Gründungsdampfer über den Kyritzsee in Brandenburg.

Mamoghli ist zwar nur Wirt, aber er gehört trotzdem zur Mannschaft. Vor zehn Jahren bekam er von der „Bild“-Zeitung den Namen „Hexer“ verpasst, weil er vor jedem Pokalspiel das Ergebnis tippte – und immer richtig lag. „Camillo konnte nicht schummeln“, sagt Jochem Ziegert, Herthas damaliger Amateur-Trainer. Der Wirt notierte den Tipp nicht auf einem Zettel, sondern tippte ihn in die Kassenmaschine. Auf den Rechnungen stand dann immer auch Uhrzeit und Datum.

Es war eine Idee aus der Bierlaune heraus. Mamoghli sagt: „Ich habe nicht einmal Ahnung vom Fußball.“ Anders lassen sich seine Tipps auch nicht erklären. Herthas Amateure warfen damals reihenweise Profiklubs aus dem Wettbewerb, erst den VfB Leipzig, dann Hannover 96 und den 1. FC Nürnberg, schließlich den Chemnitzer FC. Erst im Finale, eine Viertelstunde vor Abpfiff, da sorgte Leverkusens Nationalspieler Ulf Kirsten dafür, dass ein paar Berliner Talente begriffen, dass sie doch nur Amateure waren. Hertha verlor das Spiel 0:1. Anderntags titelte „Bild“: „Weine nicht, wunderbare Hertha!“

Mit den Mythen war das so eine Sache. Vor dem Pokalspiel gegen den 1. FC Nürnberg, der mit Nationaltorwart Andreas Köpke angereist war, tippte Camillo 4:3, steckte den Zettel in die Schublade und blieb am Abend im Restaurant. Zur Halbzeit aber stand es im Mommsenstadion 0:2, und bei Hertha brach Panik aus. „Plötzlich hielt ein schwarzer Mercedes vor der Tür, ein paar Männer sprangen heraus, rannten in mein Restaurant und zerrten mich ins Stadion“, erzählt Camillo. Am Ende, na klar, stand es 4:3.

Mit den Jungs ist jetzt alles möglich, dachten die Fans, „verkauft die nicht wieder an andere Bundesligavereine, mit denen steigen wir selbst auf“. Briefe wie dieser landeten damals täglich auf der Hertha-Geschäftsstelle, 400 waren es insgesamt. Die Profis von Hertha kickten in der Zweiten Bundesliga gegen Klubs wie Remscheid und Wuppertal. Als Hertha 1997 den Aufstieg schaffte, waren nur zwei ehemalige Amateure dabei: Andreas Schmidt und Christian Fiedler. Sie stehen auch heute noch in Berlin unter Vertrag. Carsten Ramelow ging für 1,5 Millionen Mark zu Bayer Leverkusen und wurde dort Nationalspieler und viele Male Vizemeister. Auch er wird am Samstag ins „Allegro“ kommen.

Trainer Ziegert trat Mitte der Neunzigerjahre seinen Job bei der Oberfinanzdirektion Berlin an. „Angst vor dem Profigeschäft war’s nicht.“ Vielleicht war es einfach Bequemlichkeit. Zur kommenden Saison kehrt Ziegert als Jugendtrainer zu Hertha zurück. Vor drei Wochen hat er seinen schwarzen TR 6 aus der Garage geholt. Ziegert hat ihn 1993 geschenkt bekommen, von Jörg Thomas, dem heutigen Vizepräsidenten, der eine Tankstelle in Wedding besaß. „Du, Jochem, wenn du die Amateure ins Finale führst, schenk’ ich dir den Wagen“, hat Thomas gesagt. Am Ende war da wieder die Rede von „Hexerei“.

Es rankten viele Legenden um diese Mannschaft. Eine hat sich vor zweieinhalb Wochen erledigt. Ein „B.Z.“-Reporter ist zu Camillo Mamoghli ins „Allegro“ gefahren und hat ihn gefragt: „Wie spielt Hertha gegen den FC Bayern?“ Camillo grübelte, dann sagte er: „2:1 für Hertha“. Die Bayern gewannen 6:3.

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